AP 20.10.1999 18:29

Panzer für die Türkei löst neuen Koalitionsstreit aus

Uneinigkeit im Kabinett - Bundessicherheitsrat entschied - Schröder will EU-Perspektive für Ankara

Berlin (AP)

Die Genehmigung für den Export eines hochmodernen Leopard-Kampfpanzers in die Türkei hat Differenzen im Kabinett offenbart und in der rot-grünen Koalition neuen Streit entfacht. Gegen die Stimmen der Grünen und Teile der SPD entschied der Bundessicherheitsrat am Mittwoch in Berlin, dem Nato-Partner werde ein Leopard 2 A5 für Vergleichstests für ein Jahr zur Verfügung gestellt. Schröder, der das für Rüstungsexporte zuständige Gremium leitet, wollte die Entscheidung später nicht kommentieren. Er erneuerte jedoch seine Forderung, dass der Türkei eine EU-Perspektive geboten werden müsse.

Schon vor der Sitzung war es zu Auseinandersetzungen innerhalb von Koalition und Regierung gekommen. Während Schröder und Verteidigungsminister Rudolf Scharping die Lieferung befürworteten, waren Außenminister Joschka Fischer und Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul wegen des Kurden-Problems und der Lage der Menschenrechte in der Türkei dagegen.

Die Bundestagsfraktion der Grünen nahm die Entscheidung nach eigenen Angaben «mit Entsetzen» auf. In einer Erklärung hieß es, der Schritt widerspreche dem Geist der Koalitionsvereinbarung, in der den Menschenrechten bei Rüstungsexporten Vorrang eingeräumt werde. Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer sprach von einer «Fehlentscheidung».

Auch der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler, nannte die Panzerlieferung «ein falsches Signal». Er sagte im Inforadio Berlin, allerdings könne mit der Lieferung eines Testpanzers Zeit gewonnen werden, in der die Türkei ihre Politik ändern könnte. Die Grünen nannten diese Erwartung eine Illusion.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sprach von einem «faulen Kompromiss», weil ein mögliches Nachfolgegeschäft an die politische Entwicklung in der Türkei geknüpft worden sei. Die PDS will den Bundestag einschalten.

Der Hersteller des Leopard 2 A5, die Krauss-Maffei Wegmann in München und Kassel teilte mit, die Türkei stehe vor der Zukunftsentscheidung über ein Panzerkonzept. Die türkische Industrie solle in Lizenz im kommenden Jahrzehnt rund 1.000 Stück bauen, was für den auf Deutschland entfallenden Geschäftsanteil im Erfolgsfall ein Volumen von sechs Milliarden Mark bedeute. Die Türkei verfüge bereits über etwa 400 Panzer des Vorgängermodells Leopard 1, das nicht mehr gebaut wird. Nach Angaben aus Berlin wurde bisher keiner dieser Kampfwagen gegen Kurden eingesetzt. Das türkische Militär will den neuesten Leopard mit Panzern aus USA, Frankreich, Italien, Russland und anderen Staaten vergleichen.

Keine Haubitzenteile

In einer weiteren Entscheidung verweigerte der Bundessicherheitsrat den von der Türkei ebenfalls beantragten Verkauf von Einzelteilen für deutsche Haubitzen im Wert von 250 Millionen Mark. Diese Artilleriewaffen können im Gegensatz zu Kampfpanzern auch in gebirgigem Gelände und damit in kurdischen Gebieten eingesetzt werden, hieß es. Im Bundessicherheitsrat, dem für Waffenexporte zuständigen Gremium, sind unter Leitung des Kanzlers in der Regel die Ressorts Auswärtiges Amt, Innen, Verteidigung, Justiz, Wirtschaft, Finanzen und Wirtschaftliche Zusammenarbeit vertreten. Nach den politischen Grundsätzen der rot-grünen Regierung sind bei Waffenexporten Menschenrechte als Genehmigungskriterium vorgesehen.