Neue Züricher Zeitung, 19.10.1999

Türkisches Budget nach dem Geschmack des IMF

Zweifel an den makroökonomischen Grunddaten

Die türkische Regierung hat dem Parlament ein Budget vorgelegt, das vor allem darauf ausgerichtet ist, ein Beistandsdarlehen des Internationalen Währungsfonds (IMF) zu erhalten. Die Regierung rechnet mit einem Wachstum des Bruttosozialprodukts von 5,5% und strebt eine Inflationsrate von 25% an. Beobachter halten diese Werte indes für unrealistisch.

paz. Istanbul, 18. Oktober

Die türkische Regierung hat am Sonntag der Nationalversammlung das Budget für das nächste Jahr vorgeschlagen. Die Regierung rechnet mit Ausgaben von 46,9 Billiarden türkischen Lira (81,8 Mrd. $ zum im Budget projektierten Wechselkurs) und Einnahmen von 32,6 Billiarden türkischen Lira. Damit soll sich das Budgetdefizit auf 14,3 Brd. Lir. - 11,5% des budgetierten Bruttosozialprodukts (BSP) - belaufen. Zwar wird mit einem primären Budgetüberschuss von 6,7 Brd. Lir. (5,4% des BSP) gerechnet, doch müssen 21,1 Brd. Lir. für den Schuldendienst aufgewendet werden. Dieser Posten macht rund 45% der Gesamtausgaben aus.

Ambitiöse Ziele

Dem Budget, das nun von der entsprechenden Parlamentskommission behandelt wird, liegt die Annahme eines Wirtschaftswachstums von 5,5% zugrunde. Gegenwärtig durchläuft die türkische Wirtschaft noch immer eine Rezession, und bis Ende Jahr dürfte das Bruttosozialprodukt um 2% zurückgegangen sein. Betreffend die Inflation werden 25% bei den Konsumentenpreisen und 20% bei den Produzentenpreisen angepeilt. Dies ist eine beträchtliche Verbesserung gegenüber dem laufenden Jahr, denn für 1999 liegen die voraussichtlichen Werte bei 64% bzw. 57%. Der Voranschlag liegt genau auf der vom Internationalen Währungsfonds (IMF) vorgegebenen Linie. Die türkische Regierung versucht, bis Ende Jahr ein Beistandsdarlehen zu erhalten, um die chronisch hohe Inflation in den Griff zu kriegen. Beobachter sehen im jetzigen Vorschlag denn vor allem einen Versuch, die IMF-Unterstützung zu unterhalten. Die Grundannahmen beurteilen sie von «sehr optimistisch» bis «unrealistisch».

Rein arithmetisch dürfte es nicht schwerfallen, das Budget durch das Parlament zu manövrieren, verfügt doch die Regierungskoalition über eine solide Mehrheit. Zweifel sind hingegen angebracht, ob die massive Steigerung bei den Einnahmen in die Realität umgesetzt und die Ausgaben im Griff behalten werden können. Der Sprung bei den Steuereinnahmen (plus 66% gegenüber dem laufenden Jahr) muss hinterfragt werden, denn mehrere Elemente - wie eine einmalige und umstrittene «Erdbebensteuer» für den Wiederaufbau - sind zwar im Budget vorhanden, die nötigen Gesetze allerdings noch nicht verabschiedet. Des weiteren scheinen keine konkreten Pläne zur Verbesserung der Steuermoral zu bestehen. Auch die geplanten Privatisierungserlöse von rund 10 Mrd. $ sind ambitiös, da sie höher sind als die Einnahmen aller bisherigen Privatisierungsprogramme zusammen. Auf der Ausgabenseite werden die Löhne im öffentlichen Sektor massgebend sein. Zwar sollen sie nur in derselben Grössenordnung wie die Inflation wachsen, doch geistert bereits das vage Versprechen einer weiteren Lohnerhöhung herum, falls die nötigen Ressourcen vorhanden seien. Es scheint, dass die Regierung ihrem ambitiösen Inflationsziel selber nicht ganz traut.

Analytiker warten skeptisch ab

Verschiedene Analytiker glauben daran, dass der IMF trotz den zum Teil fragwürdigen Annahmen die Türkei am Ende unterstützen wird. Ein westlicher Diplomat meint, dass sowohl die Türkei als auch Europa und die USA viel gewinnen könnten. Die Meinung der innert Monatsfrist in Ankara erwarteten IMF-Delegation sei daher von grösstem Interesse. Kurzfristig hat die Istanbuler Börse jedenfalls positiv reagiert und mit einem Plus von 1,13% gegenüber Freitag geschlossen. Da jedoch praktisch alle Regierungen der vergangenen Jahre versprochen hatten, die Inflation zu senken, warten die meisten Beobachter skeptisch ab. Konkrete Zeichen, dass es diesmal wirklich ernst gemeint ist, lassen auf sich warten. In der Vergangenheit haben die Regierenden regelmässig dem Druck verschiedener Interessengruppen nachgegeben und sind vor unpopulären Massnahmen zurückgeschreckt.

Mit den Erklärungen zum Budget 2000 gab das Finanzministerium auch die definitiven Zahlen für die ersten neun Monate des laufenden Jahres bekannt. Diese sind von besonderem Interesse, weil sie einen ersten Hinweis auf die reellen Auswirkungen des Erdbebens vom 17. August geben, bei dem rund 17 000 Personen ums Leben kamen. Das Budgetdefizit betrug demnach 7,196 Brd. Lir. Bis Ende Jahr wird mit 9,113 Brd. Lir. gerechnet. Ohne Schuldzahlungen, ist die Bilanz jedoch positiv: Sie zeigt einen Überschuss von rund 1 Brd. Lir. und ist damit besser als das mit dem IMF vereinbarte Ziel von 0,9 Brd. Lir.