Frankfurter Rundschau 19.10.1999

Minderjährige "Tötungsmaschinen" kämpfen auch in Europa

Konferenz will Mindestalter von Soldaten auf 18 heraufsetzen / Deutschland steht ebenfalls am Pranger

Von Wolfgang Gast

Auch in Europa werden tausende Kinder und Jugendliche als Soldaten missbraucht. Zu diesem Ergebnis kommt die erste Studie über "Kindersoldaten in Europa". Sie wurde am Montag in Berlin zum Auftakt einer dreitägigen "Europäischen Konferenz über den Einsatz von Kindern als Soldaten" vorgestellt.

BERLIN, 18. Oktober. Zum besseren Schutz Minderjähriger soll das Mindestalter für die Rekrutierung und den Einsatz von Soldaten generell auf 18 Jahre heraufgesetzt werden. Das forderten rund 250 Vertreter von 34 Staaten und 30 nicht staatlichen Organisationen am Montag in Berlin. In Deutschland hätte dies zur Folge, dass Minderjährige sich nicht mehr freiwillig zur Bundeswehr melden können. Dort dienen derzeit 252 Soldaten, die noch keine 18 Jahre alt sind.

Weltweit gibt es nach Schätzungen rund 300 000 Kindersoldaten. Auch in Europa haben Kinder und Jugendliche wiederholt an Bürgerkriegen teilgenommen: Konferenzteilnehmer berichteten von minderjährigen Kämpfern in Bosnien-Herzegowina, in Kosovo, in Tschetschenien, in Berg-Karabach und in der Türkei.

Wie keine andere bewaffnete Gruppe setze die kurdische Arbeiterpartei PKK auf den Einsatz Heranwachsender, sagte Lotte Leicht, Geschäftsführerin von "Human Rights Watch" in Brüssel. 3000 Kinder sollen im vergangenen Jahr der PKK gedient haben, heißt es in der 125-seitigen Studie - das jüngste erst sieben Jahre alt. Auch der kosovo-albanischen Befreiungsarmee wird vorgeworfen, Jungen und Mädchen unter 18 Jahren in Kampfeinsätze geschickt zu haben.

Der UN-Sonderbeauftragte für Kinder im Krieg, Olara Otunnu, verurteilte in Berlin die "unsäglichen Verbrechen, die an Kindern begangen werden". Auch Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne) äußerte seine Abscheu über die "perverse Form, Kinder als Tötungsmaschinen abzurichten".

Nach dem Bericht leisten Minderjährige aber auch in regulären Streitkräften Europas Militärdienst. In 20 Staaten ist deren Rekrutierung zulässig, eine Spitzenposition hält dabei die britische Armee: Dort dienen mehr als 6500 Jugendliche, 800 davon sind Mädchen. Seit 1982 starben 92 der 16- bis 17-jährigen Briten in Ausübung ihres Dienstes. Als einziges Land in Europa setzt Großbritannien die Jugendlichen auch bei Kampfeinsätzen ein.

"Doppelte Standards bei den Menschenrechten" dürfe es nicht geben, forderte Fischer. Es müsse für alle "dieselbe Richtschnur" gelten - also für den 12-jährigen Kämpfer in Sierra Leone ebenso wie für den 17-jährigen Auszubildenden bei den Flugzeugtechnikern der Bundeswehr. Nur so könne "international ein Klima der Ächtung" entstehen, nur so könnten die Kriegsparteien effektiv an der Rekrutierung Minderjähriger gehindert werden.

Ausdrücklich unterstützte der Außenminister die Forderung der Konferenzteilnehmer, das Mindestalter für Soldaten in einem Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention auf 18 Jahre heraufzuheben. In der Bundesregierung ist nach den Worten Fischers dazu noch nicht "abschließend" entschieden worden.

Widerstand gegen diese Pläne habe es bisher "am ehesten" im Bundesverteidigungsministerium gegeben, erklärte die Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) am Rande der Tagung. Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) habe aber signalisiert, auch er wolle die Forderung nach einem Mindestalter von 18 Jahren unterstützen.