HANDELSBLATT, 19.10.1999

Entscheidungsverfahren müssen vereinfacht werden

Experten empfehlen Reform der EU-Institutionen

HB BRÜSSEL. Vor der Aufnahme neuer Staaten in die Europäische Union müssen die Institutionen der Gemeinschaft nach Expertenmeinung gründlich reformiert werden. Entsprechende Verbesserungen sollten bis Ende 2000 vereinbart sein, forderte der frühere belgische Premier Jean-Luc Dehaene am Montag bei der Vorlage eines Berichts an die EU-Kommission in Brüssel. "Es ist keine Vorbedingung, aber eine Herausforderung, die Institutionen vor der Erweiterung anzupassen", sagte Dehaene.

Der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker ergänzte: "Es ist höchste Zeit für die EU, die Aufgabe der institutionellen Reform so ernst wie möglich zu nehmen." Die Institutionen der EU waren in den 50er-Jahren für eine Gemeinschaft von sechs Mitgliedern geschaffen worden.

Damit eine erweiterte Union mit 20 oder 30 Mitgliedsländern noch funktionieren kann, halten Dehaene, von Weizsäcker und der frühere britische Minister Lord Simon die Vereinfachung der Entscheidungsverfahren für unabdingbar. Ihrer Ansicht nach sollten Mehrheitsentscheidungen im EU-Ministerrat zur Regel werden. "Wenn Einstimmigkeit gefordert wird, nimmt die Gefahr von Blockaden proportional zur Zahl und Unterschiedlichkeit der Teilnehmer zu", stellen sie in ihrem Bericht fest. Auch die Stimmgewichtung der Mitgliedsländer soll neu geregelt werden. Das Europaparlament soll in allen Fragen mitentscheiden, in denen im EU-Ministerrat mit Mehrheit entschieden wird.

Zur künftigen Größe der EU-Kommission werden keine Zahlen genannt. "Wenn wir den Vorschlag gemacht hätten, dass nicht jedes Land einen Kommissar bekommt, würde der Vorschlag gar nicht berücksichtigt", erklärte Dehaene. Deshalb hätten die Berater einen realistischen Ansatz gewählt. Die EU-Kommission müsse als ureigenes "europäisches Organ" handlungs- und leistungsfähig bleiben, heißt es in dem Bericht. Deshalb müsse die Rolle des Kommissionspräsidenten noch weiter gestärkt werden. "Er sollte die klare Organisations-, Koordinierungs- und Richtlinienkompetenz für die Arbeit der Kommission haben."

Die Staats- und Regierungschefs der EU hatten am Wochenende im finnischen Tampere beschlossen, die EU-Institutionen so zu reformieren, dass die Union bis zum Jahr 2003 erweiterungsfähig wird. Die Ratifizierung eines neuen EU-Vertrages durch die nationalen Parlamente kann mehrere Jahre dauern. Damit nicht für jede Änderung eine Ratifizierung notwendig ist, schlagen die "drei Weisen" vor, den EU-Vertrag in zwei Abschnitte zu teilen. Im ersten Teil sollen grundlegende Prinzipien festgehalten werden, deren Änderung durch die Mitgliedstaaten ratifiziert werden muss. Im zweiten Teil sollen dann Ausführungsbestimmungen stehen.

Der EU-Kommission raten die Experten, schon zu Beginn der Regierungskonferenz im kommenden Jahr einen Vertragsentwurf vorzulegen. Dies sei der einzige Weg, um den Zeitplan einzuhalten und bis Ende 2000 zu einem Abschluss zu kommen, sagte Dehaene.