Berliner Zeitung, 19.10.1999

Panzergeschäft mit der Türkei sorgt für Streit

SPD-Abgeordneter warnt Regierung vor Entscheidung

Sigrid Averesch

BERLIN, 18. Oktober. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, Gernot Erler, hat den Bundessicherheitsrat aufgefordert, gegen ein geplantes Panzergeschäft mit der Türkei zu stimmen. Angesichts der jüngsten Kritik der EU-Kommission an der Menschenrechtssituation in der Türkei "ist es überzeugender, wenn der Bundessicherheitsrat dem Geschäft nicht zustimmt", sagte Erler der "Berliner Zeitung". Mit einer Zustimmung sei das politische Risiko verbunden, dass die türkische Regierung die deutsche und europäische Kritik an ihrer Menschenrechtspolitik nicht ernst nehme, betonte der Parlamentarier. Nach seiner Einschätzung ist die SPD-Fraktion mehrheitlich gegen das Waffengeschäft. Erler rechnet damit, dass der Bundessicherheitsrat am morgigen Mittwoch eine Entscheidung über die Ausfuhr eines Kampfpanzers Leo II in die Türkei treffen wird.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Rudolf Bindig warnte die rot-grüne Regierung für diesen Fall vor einem Konflikt mit der sozialdemokratischen Fraktion. "Eine Entscheidung am Mittwoch wäre ein Affront gegen die Fraktion", sagte Bindig der "Berliner Zeitung". Der Politiker kritisierte, dass die Regierung die SPD-Fraktion noch nicht über das geplante Rüstungsgeschäft informiert habe. "Ich gehe deshalb davon aus, dass die Bundesregierung die Entscheidung noch nicht fällt, um erneut einen Konflikt mit der Fraktion zu vermeiden", betonte Bindig, der dem Menschenrechtsausschuss und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates angehört.

In der vergangenen Woche war eine Sitzung des Bundessicherheitsrats, bei dem das Panzergeschäft beraten werden sollte, verschoben worden. Das geheim tagende Gremium hat über eine Anfrage des Münchener Rüstungskonzerns Krauss-Maffei-Wegmann auf Ausfuhr eines Kampfpanzers vom Typs Leopard II in die Türkei zu befinden. Die Türkei will 1 000 Panzer anschaffen, der deutsche Leopard gilt als Favorit. Ein solcher Auftrag würde der deutschen Industrie rund sechs Milliarden Mark einbringen.

Uneiniger Bundessicherheitsrat

Zwischen den Koalitionsfraktionen und der Regierung ist das Geschäft jedoch wegen der Menschenrechtslage in der Türkei umstritten. In den rot-grünen Bundestagsfraktionen gilt die Einschränkung der Waffenexporte als grundlegende politische Forderung. Bereits in den Koalitionsverhandlungen hatten sich Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen darauf geeinigt, die Waffenexporte nach der Einhaltung der Menschenrechte in den Empfängerländern zu richten. Bei den Grünen machten die verteidigungspolitische Sprecherin, Angelika Beer, und die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses, Claudia Roth, ihre Ablehnung deutlich.

Auch der Bundessicherheitsrat vertritt keine einheitliche Position. Als Befürworter des Rüstungsexports gelten Wirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) und Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD), als Gegner Außenminister Joschka Fischer (Grüne) und Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD).