Die Welt, 18.10.1999

An der Türkei scheiden sich die Geister

EU-Gipfel in Tampere geht zu Ende - Einheitliche Asylpolitik als Ziel

Von Nikolaus Blome und Andreas Middel

Tampere - Die Staats- und Regie rungschefs der Europäischen Union haben sich erstmals auf einen Terminplan für die Osterweiterung der EU verständigt. Im Jahr 2003 will die Union nach erneuter innerer Reform aufnahmefähig sein. Frühestens zu diesem Zeitpunkt können die ersten Staaten beitreten. "Dazu fähig zu sein ist Sache dieser Länder", sagte Bundeskanzler Gerhard Schröder am Samstag zum Abschluss des zweitägigen EU-Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs in Tampere, Finnland.

Beim nächsten Treffen in Helsinki im Dezember wird die EU den Startschuss für Verhandlungen mit sechs weiteren Kandidatenstaaten geben: Slowakei, Lettland, Litauen, Rumänien, Bulgarien und Malta. Seit 18 Monaten verhandelt die EU mit Polen, Ungarn, Tschechien, Slowenien, Estland und Zypern.

Umstritten blieb am Wochenende, wie weit die EU der Türkei entgegenkommen will: Schröder setzte sich massiv dafür ein, der Türkei den Status eines "Beitrittskandidaten" zu gewähren - auch wenn konkrete Aufnahmeverhandlungen noch in weiter Ferne lägen. Allerdings haben einige nordeuropäische EU-Länder noch schwere Vorbehalte, weil in der Türkei Folter noch immer an der Tagesordnung sei. "Schweden ist strikt dagegen, der Türkei den Kandidatenstatus zuzubilligen", erklärte die schwedische Außenministerin Lind.

Nun soll das EU-Gipfeltreffen in Helsinki die Entscheidung bringen; Schröder gab sich zuversichtlich. Zugleich unterstrich der Kanzler die Bedeutung des Treffens in Tampere: "Es war ein sehr technisch erscheinender Gipfel. Aber wir haben das vierte große Feld der europäischen Integration damit eröffnet", sagte der Kanzler. Die Staats- und Regierungschefs einigten sich auf eine Reihe konkreter Schritte hin zu einer EU-gemeinsamen Politik für Polizei, Justiz und Inneres.

Ziel für das Jahr 2004 ist ein so weit wie nötig vereinheitlichter EU-Rechtsraum. Die Fortschritte der einzelnen Mitgliedsstaaten sollen von der EU-Kommission überprüft und verglichen werden.

Angesichts der ungleichen Verteilung von Asylsuchenden in der EU setzten sich die Staats- und Regierungschefs ein "gemeinsames europäisches Asylsystem" als Ziel, wie es in der Abschlusserklärung heißt. "Auf längere Sicht" soll es ein gemeinsames Asylverfahren und einen EU-einheitlichen Asylstatus geben, der die Genfer Flüchtlingskonvention nicht unterläuft. Eine gerechtere Verteilung der finanziellen Lasten aus Flüchtlingsbewegungen kam aber vorerst nicht zu Stande.

Bei der notwendigen Annäherung der nationalen Rechtssysteme in der EU soll unter der Aufsicht der EU-Kommission so wenig wie möglich harmonisiert werden. Stattdessen sei gegenseitige Anerkennung "der Eckstein" der justiziellen Zusammenarbeit. Als erster Schritt soll die sofortige Vollstreckbarkeit von rechtsgültigen Urteilen EU-weit gesichert werden.

Insgesamt zogen die Staats- und Regierungschefs eine positive Bilanz. "Innenpolitik und Justiz werden nicht mehr das Stiefkind Europas sein", sagte Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac.

Mehr über den Gipfel im Netz: http://www.europa.eu.int