Frankfurter Rundschau, 18.10.1999

Kommentar

Mehr Sicherheit als Freiheit

Das Versprechen, dass es kein "Gipfel der Repression" werden sollte, hat die EU nur ungenügend eingelöst

Von Martin Winter

Der Weg ist noch weit und der Mühen sind viele. Bis die fünfzehn Mitglieder der Europäischen Union ihre so unterschiedlichen Rechts- und Innenpolitiken harmonisiert haben, wird noch mancher EU-Gipfel vorübergehen. Aber immerhin haben die Staats- und Regierungschefs nun im finnischen Tampere ein wenn auch grobes Raster geschaffen, das jetzt mit dem ausgefüllt werden muss, was im Vertragswerk der Union so anspruchsvoll "europäischer Raum der Freiheit, des Rechtes und der Sicherheit" heißt.

Darin steckt auch schon die Kritik an den Ergebnissen von Tampere. Es ist viel von Recht und Sicherheit die Rede, aber wenig von der Freiheit. Nun dient der Kampf gegen Menschenhandel, Drogenschmuggel und Gewaltkriminalität gewiss auch der Freiheit des Einzelnen vor Bedrohung. Und eine Angleichung der Rechtssysteme verhilft zu der Freiheit, nicht das Opfer europäischer Gesetzeswidersprüche zu werden. Doch das Versprechen, dass dies kein "Gipfel der Repression" werden sollte, hat die EU nur ungenügend eingelöst. Wer über polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Zusammenarbeit nachdenkt, sollte mehr als einen Gedanken und ein paar schöne Formulierungen an die Gefahren verschwenden, die der individuellen Freiheit aus der Machtfülle der Staatsorgane erwachsen können.

Nun steht die EU noch ganz am Anfang des Prozesses hin zu mehr Einheitlichkeit und Effizienz im Recht und in der Strafverfolgung. Es bleibt also genug Raum und Zeit, diesen Mangel zu beheben und zur Balance zwischen Freiheit, Recht und Sicherheit zu finden.