Frankfurter Rundschau, 18.10.1999

Bloß Signale für EU-Erweiterung

Im Blickpunkt: Konkrete Zusagen fehlen

Von Michael Bergius (Tampere)

Unter den Mitgliedern der Europäischen Union gibt es keine Vorbehalte mehr dagegen, den Kreis der engeren Beitrittskandidaten auszudehnen. Erweiterungsverhandlungen sollen vom kommenden Jahr an statt bisher mit sechs, mit zwölf Anwärtern geführt werden.

Auf ihrem Gipfeltreffen im finnischen Tampere korrigierten die 15 Staats- und Regierungschefs erwartungsgemäß ihren Beschluß vom Herbst 1997, die EU-Aspiranten in zwei Gruppen aufzuteilen. Künftig werde es keine "unterschiedlichen Kategorien von Kandidaten" mehr geben, kündigte der französische Präsident Jacques Chirac an.

Bereits im kommenden Dezember, bei ihrem nächsten Stelldichein in Helsinki, wollen die Fünfzehn die jüngste Kursempfehlung der Europäischen Kommission billigen und Bulgarien, Lettland, Litauen, Malta, Rumänien und die Slowakei zu konkreten Beitrittsgesprächen einladen. Diese Staaten erhalten somit den gleichen Status wie Estland, Polen, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern, mit denen seit Anfang 1998 verhandelt wird.

Da das Thema Erweiterung offiziell in Tampere nicht auf der Tagesordnung stand, sondern eingehend erst im Dezember behandelt werden soll, vermieden es die Regierungschefs am Wochenende, die in der vergangenen Woche in Brüssel vorgelegten "Fortschrittsberichte" zu den zwölf Beitrittsanwärtern inhaltlich zu bewerten. Sie bestätigten jedoch die zurückhaltende Marschrichtung der Kommission, auf die Nennung fester Beitrittsdaten zu verzichten.

Die Bundesregierung, die sich bis zuletzt erfolglos für konkrete Aufnahmetermine eingesetzt hatte, ruderte in Tampere zurück. Um die potenziellen Mitglieder bei der Stange zu halten, müssten in Helsinki jedoch Zeichen der "Ermutigung" ausgesandt werden, formulierte es Bundeskanzler Gerhard Schröder. So solle die Union "im Jahr 2003 aufnahmefähig sein". Wann es danach zu ersten Beitritten komme, liege in erster Linie an den Bewerberstaaten selbst. Chirac vermied es dagegen, sich auf Jahreszahlen festzulegen: In zwei Monaten werde die EU "konkretisieren", wann sie "bereit" sei, sich neuen Mitgliedern zu öffnen, kündigte der französische Staatschef an.

Die Gipfelteilnehmer bemühten sich nach Kräften, der Gretchenfrage auszuweichen, welche Vorleistungen die Union erbringen muss, um sich intern in den Zustand der "Aufnahmefähigkeit" zu versetzen. Konsens besteht bislang lediglich darin, Anfang des kommenden Jahres eine neue Regierungskonferenz zur Vertragsreform einzuberufen, die möglichst innerhalb von zwölf Monaten beendet werden soll.

Als Befürworter eines ehrgeizigen Reformansatzes meldete sich in Tampere Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker zu Wort: Eine Beschränkung auf kleinere Korrekturen am EU-Vertrag von Amsterdam genüge ihm nicht. "Institutionelle Reformen müssen im Dienste von Ambitionen stehen." Die Union müsse sich bald darüber klar werden, ob sie sich im Zuge der Erweiterung von ihrem "Ziel der Vertiefung verabschieden" wolle. Ähnlich wie Juncker äußerte sich auch sein niederländischer Amstkollege Wim Kok.

Mühsam unter dem Deckel gehalten wurde in Tampere der Streit über die Türkei. Es gebe zwar "Einvernehmen", dem Land am Bosporus einen "Kandidaten-Status" zuzubilligen, hieß es. Finnen und Schweden machten jedoch klar, sie erwarteten vor weiteren Tauglichkeitserklärungen noch "Signale" aus Ankara in Sachen politischer Reformen und Menschenrechte. Gäbe es etwa in der Kurden-Frage keine Fortschritte, werde Schweden Ankara nicht unterstützen, sagte Außenministerin Anna Lindh. Wie die abschließende Botschaft der EU an die Türkei im Dezember ausfallen werde, könne er "sicher" noch nicht vorhersagen, gab Schröder zu Protokoll. Schließlich müssen alle 15 EU-Mitgliedsländer die Ernennung neuer Kandidaten einstimmig beschließen.