junge Welt, 18.10.1999

Europa macht die Schotten dicht

EU-Sondergipfel in Finnland - europaweite Proteste gegen Asylpolitik

Während im finnischen Tampere die EU-Regierungschefs auf einem Sondergipfel tagten, demonstrierten in mehreren Städten Europas Flüchtlinge, Migranten und antirassistische Gruppen gegen die europäische Flüchtlings- und Migrationspolitik. Unter dem offiziellen EU-Motto, einen Raum »der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts« zu schaffen, werde »in Wahrheit Ausgrenzung, Rassismus, Kontrolle und Abschottung vorangetrieben«, so die bundesweite Kampagne »Kein Mensch ist illegal«, die zu einer Demonstration gegen die Bundesgrenzschutzdirektion in Koblenz aufgerufen hatte.

Dem Aufruf folgten am Freitag nachmittag 200 Menschen auf den Platz vor der Grenzschutzbehörde. Dem unscheinbaren Gebäude in der Stadt am Rhein sieht man nicht an, daß dort täglich tiefgreifende Entscheidungen über das Schicksal von Menschen getroffen werden. Nur ein paar unauffällig installierte Infrarotkameras deuten an, daß in dem Haus eine staatliche Behörde zugange ist - hier ist die zentrale Abschiebebehörde der BRD untergebracht.

Deutschland ist in der EU Vorreiter einer restriktiven Abschottungspolitik. Seine Grenzen zu Polen und Tschechien gelten inzwischen als die bestbewachtesten in Europa. Der Bundesgrenzschutz als ausführende Behörde ist zu diesem Zweck personell und technisch hochgerüstet worden. Allein im vergangenen Jahr standen ihm 2,4 Millarden Mark zur Verfügung. Das Geld verwendet der BGS für seine Einheiten, die an Flughäfen, Bahnhöfen und in mobilen Kommandos eingesetzt werden. Hinzu kommen 6 200 Beamten an den Ostgrenzen und deren Ausrüstung, z. B. hochempfindliche Wärmebildgeräte und Kohlendioxid-Detektoren, mit denen etwa unter Planen ausgestoßene menschliche Atemluft angezeigt werden kann.

Besonders zimperlich gehen die Beamten bei ihrer Fahndung nicht vor. Im Juli 1998 mußten sieben Flüchtlinge sterben, als bei der Verfolgungsjagd des BGS der Bus der Fluchthelfer verunglückte. Seit 1989 sind mindestens siebzig Menschen bei dem Versuch ums Leben gekommen, über die Ostgrenze nach Deutschland zu fliehen.

Doch die Demonstranten kritisieren nicht nur die Umsetzung formaler gesetzlicher Aufgaben. Der BGS habe sich in den letzten Jahren vielmehr zu einem »organisatorisch und logistisch hocheffizienten Repressionsapparat« entwickelt. Die Grenzschutzbehörde analysiere internationale Fluchtrouten und sei dafür verantwortlich, sie zu blockieren. Zu den weiteren Aufgabenbereichen gehören Zwangsvorführungen in Botschaften zur »Herkunftsfeststellung« und die Organisation von Charterflügen für Massenabschiebungen. Darüber hinaus sitzen hochrangige Vertreter der Grenzschutzdirektion mit am Tisch, wenn Rücknahmeabkommen, wie zuletzt mit Algerien und Äthiopien, ausgehandelt werden. Für die Veranstalter der Demonstration tragen die Schreibtischtäter der Grenzschutzdirektion besondere Verantwortung für die Toten an der Grenze, in der Abschiebehaft, während der Durchführung von Abschiebungen und nach erfolgter Abschiebung in den Herkunftsländern.

Ein afrikanischer Flüchtling der Selbsthilfeorganisation »The Voice« stellte in einem Redebeitrag heraus, daß die Wirtschaftspolitik der »westlichen Welt maßgeblich für die weltweiten Flüchtlingsbewegungen« verantwortlich sei. Solange diese »Politik der Ausbeutung« fortgesetzt werde, müsse jeder Flüchtling das Recht erhalten, sich »den Platz auszusuchen, wo er leben möchte«.

Protestiert wurde gestern nicht nur in Deutschland. Gegen die Absicht der Regierungschefs in Tampere, die Asylpolitik mit dem Ziel der möglichst effektiven Verhinderung »illegaler Einwanderung« europaweit anzugleichen, gingen Menschen in Frankreich, Polen, Österreich und Finnland auf die Straße.

In Paris und in anderen französischen Städten demonstrierte das Flüchtlingsnetzwerk der »Sans-papier«, ebenso beteiligten sich mehrere hundert Menschen an Aktionen in Wien, Tampere, Berlin und Amsterdam. In Frankfurt am Main blockierten Aktivisten mit Luftballons, die 150 Meter über der Erde schwebten, die Flugbahnen des größten Flughafens in Deutschland. Von dort aus werden jährlich 10 000 Menschen abgeschoben.

Gerhard Klas/AP-Foto: Jerome Delay