newsclick, 16.10.99

Leben wie im Gefängnis

Braunschweiger Jugendliche demonstrieren Sonnabend für die Rechte von Flüchtlingen

Von Verena Götze

"Wir leben hier wie in einem Gefängnis" erzählt Hussein Dauud. Sogar an Selbstmord hat der 28-Jährige gedacht. Hussein Dauud wohnt seit rund drei Monaten in der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber (Zast) in Kralenriede. Zusammen mit 21 anderen Flüchtlingen fühlt sich Dauud als Opfer eines niedersächsischen Modellprojektes, das seit Februar 1998 in der Zast läuft (wir berichteten).

Abgelehnte Asylbewerber mit ungeklärter Identität sollen hier, so der Vorwurf, zur Preisgabe ihrer Personalien angehalten werden, um sie eventuell abschieben zu können. Die Flüchtlinge empfinden es als Bestrafung, dass das monatliche "Taschengeld" von den regulären 80 Mark zunächst auf 20 gekürzt und in diesem Monat ganz gestrichen wurde.

"Wir haben das Gefühl, den Behörden sei es ganz recht, wenn einige von uns kriminell würden", erklärt ein Flüchtling, der seit mehr als einem Jahr in dem Projekt ist und seinen Namen nicht nennen möchte.

Warum Hussein Dauud wieder in der Zast ist, begreift der 28-Jährige nicht. "Ich bin Kurde und habe in Syrien gelebt" erklärt er. Dort habe er sich in einer pro-kurdischen Partei, jedoch nicht der PKK, engagiert und habe fliehen müssen. "Ich kam nach Deutschland mit der Hoffnung, mich in demokratischen Verhältnissen für mein Volk einsetzen zu können".

Seit vier Jahren ist der junge Mann in einer dezentralen Unterkunft im Flüchtlingsheim Peine untergebracht, bis er in die Zast zurück verlegt wurde. Weil er Kurde sei, würden die syrischen Behörden ihm keine Papiere ausstellen, seine Herkunft habe er nie verschleiern wollen.

Ihrer Zukunft sehen alle 21 Flüchtlinge sehr sorgenvoll entgegen. Viele haben Angst vor der Abschiebung in ihre Heimatländer, wo sie Gefängnisstrafen und Schlimmeres zu erwarten hätten. Dauud erzählt von einem Freund, von dem er nach der Abschiebung nach Syrien kein Lebenszeichen mehr erhalten habe. Weiter diesem "Projekt" ausgeliefert zu sein, da sind sich die Flüchtlinge einig, sei für sie unzumutbar. Einige denken über einen Hungerstreik als letzte Möglichkeit nach, "vielleicht wird dann endlich etwas passieren".

Dass etwas passieren muß, findet auch Kathrin Martens von den Braunschweiger Falken. "Wir fordern das Ende des Projektes. Die Flüchtlinge sollen unter menschenwürdigen Bedingungen leben." In Holland und Dänemark seien ähnliche Modellversuche mangels Ergebnissen bereits eingestellt worden.

Um Solidarität mit den Betroffenen zu zeigen, veranstalten die Falken gemeinsam mit den Ökoscouts und der Jugend-Antifa-Aktion am heutigen Sonnabend eine Demonstration, Beginn ist um 12 Uhr auf dem Kohlmarkt. Zukünftig wollen sie sich in einem Braunschweiger Bündnis für die Rechte der Flüchtlinge einsetzen.

Persönliche Kontakte zu Betroffenen, die außerhalb der Zast kaum Bekanntschaften schließen und Unterstützung finden können, bestehen bereits. "Wir schaffen es nicht, mit Einheimischen ins Gespräch zu kommen", beklagen die beiden Männer, die eine Mauer der Abwehr fühlen. Auch die Sprachbarriere, sie können nur wenig Deutsch, trägt dazu bei. Dass die Zast vor den Toren Braunschweigs liegt, ist ein zusätzliches Hindernis. In die Stadt gelangen Hussein Dauud und die anderen kaum, denn auch eine Busfahrkarte kostet Geld.

Sigrid Probst, Vorsitzende des Ausschusses für Ausländerangelegenheiten und Zweite Bürgermeisterin, sieht das "Projekt" ebenfalls kritisch. Sie hat Zweifel an dessen Effektivität. Die bündnisgrüne Politikerin befürchtet, dass die Flüchtlinge in die Illegalität abtauchen könnten. Der Entzug jeglicher finanzieller Mittel berge die Gefahr, dass die Betroffenen straffällig werden könnten.

"Geld ist uns nicht wichtig", sagt Hussein Dauud, "wir wollen wieder eine Lebensperspektive haben."