ap, 14.10.1999, 17:34

Unruhe bei Union und Grünen wegen Menschenrechten in der Türkei

Zündstoff nach EU-Kandidatur und Berichten über Panzergeschäft

Berlin (AP) - Die Lage der Menschenrechte in der Türkei hat sowohl in der Opposition als auch in der Koalition für Zündstoff gesorgt. Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Karl Lamers, nannte die von der Bundesregierung massiv gestützte EU-Einstufung der Türkei als Beitrittskandidatin am Donnerstag ein «riskantes Unterfangen». Die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, Angelika Beer, meldete aus dem gleichen Grund Widerstand gegen neue Richtlinien für den Export hochmoderner Leopard-II-Panzer in die Türkei an.

Die Einstufung der Türkei als Beitrittskandidatin durch die EU-Kommission kann nach Meinung von Lamers bestenfalls zu einer grundsätzlichen Klärung des Platzes der Türkei in Europa führen, «schlimmstenfalls und wahrscheinlicher zu einer weiteren Enttäuschung und tieferen Entfremdung». Neben der Lage der Menschenrechte widerspreche die in der türkischen Verfassung verankerte starke Stellung der Armee den demokratischen Kriterien für eine EU-Mitgliedschaft. Auch müsse sich Europa über die Grenzen seiner eigenen Belastbarkeit klar werden: «Wie steht es mit dieser sowohl im Blick auf die Freizügigkeit wie hinsichtlich seiner inneren Balance, wenn sie ein Land mit demnächst 80 und bald 100 Millionen Einwohnern aufnähme?»

Anders als die Union hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder am Mittwochabend den Vorschlag der Kommission begrüßt. Schröder wollte auf dem am (morgigen) Freitag im finnischen Tampere beginnenden EU-Sondergipfel bei den übrigen Staats- und Regierungschefs dafür werben, dass der Türkei auf dem regulären Dezember-Gipfel in Helsinki offiziell der Kandidaten-Status zuerkannt wird.

Im Innenverhältnis der rot-grünen Koalition entzündete sich unterdessen Streit über die neuen Richtlinien der Bundesregierung für die Genehmigung von Rüstungsexporten. Die Bundestagsabgeordnete Beer bestätigte einen entsprechenden Bericht der «Frankfurter Rundschau» (Freitagausgabe). Die verteidigungspolitische Sprecherin sagte, sie habe ihre Fraktionsführung schriftlich aufgefordert, den Koalitionsausschuss einzuschalten. Der Gesichtspunkt der Menschenrechte muss laut Beer bei Exportentscheidungen eine stärkere Stellung erhalten.

Wegen Fischers Abwesenheit vertagt

Auf Kritik war zuvor ein bekanntgewordenes Rüstungsgeschäft mit der Türkei gestoßen, die hochmoderne Kampfpanzer des Typs Leopard II A5 wünscht. Berichten zufolge hat die deutsche Rüstungsindustrie entsprechende Genehmigungen bei der Bundesregierung beantragt. Der Bundessicherheitsrat - ein hinter verschlossenen Türen tagendes Gremium der Bundesregierung - hatte ursprünglich am (heutigen) Donnerstag über den Antrag befinden sollen. Die Entscheidung wurde wegen der Abwesenheit von Außenminister Joschka Fischer jedoch vertagt.

Anfang September hatte Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul angekündigt, dass die Bundesregierung künftig keine deutschen Waffenexporte in Länder mit schweren Menschenrechtsverletzungen mehr genehmigen werde. Eine entsprechende Änderung der «Politischen Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern» nach einem EU-Kodex solle vom Kabinett abgesegnet werden. Die SPD-Politikerin ließ damals offen, ob auch die Türkei unter die strengen Kriterien fällt.