junge Welt, 14.10.99

Steht das Urteil schon fest?

Schlußplädoyers im Hamburger Prozeß gegen Funktionär der türkischen DHKP-C

Im seit Februar dieses Jahres am Oberlandesgericht in Hamburg andauernden Prozeß gegen den 33jährigen Funktionär der türkischen revolutionären Partei DHKP-C Ilhan Y. haben die Anwälte am Dienstag mit ihren Schlußplädoyers begonnen. Rechtsanwalt Eberhard Schultz aus Bremen übte in seinem Vorwort zum Plädoyer heftige Kritik an der Prozeßführung des Staatsschutzsenats.

Gericht und Bundesanwaltschaft (BAW) hatten während des gesamten Prozeßverlaufs keinen Zweifel daran aufkommen lassen, daß sie Ilhan Y. wegen angeblichen Mordes an einem Anhänger der faschistischen »Grauen Wölfe« im April 1997 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilen wollen. Ilhan Y. hat die Tatvorwürfe von Anfang an bestritten. Keiner der zahlreichen Zeugen konnte den 33jährigen als Täter identifizieren. Das Konstrukt der Anklage stützt sich auf Indizien und vage Aussagen von Kronzeugen.

Offensichtlich nicht alles, was der Vorsitzende Richter Albrecht Mentz und seine Kollegen in dem Verfahren unternahmen, diente der Wahrheitsfindung. Und so rügte Rechtsanwalt Schultz am Dienstag die »unerträgliche Voreingenommenheit gegenüber der Verteidigung« und die »Selbstgerechtigkeit des Gerichts«. Die Anwälte erhielten unter anderem keinen freien Zugang zu allen Akten, ein von der Verteidigung schriftlich vorgetragener Einwand landete beim falschen Gericht und wurde deshalb einfach nicht berücksichtigt, ein Befangenheitsantrag gegen den Staatsschutzsenat wurde als unzulässig zurückgewiesen, weil angeblich nicht fristgerecht gestellt.

Schultz monierte »eine Vorverurteilung durch das Gericht«. Das habe voreilig von einer »besonderen Schwere der Schuld« gesprochen und damit ein hartes Urteil vorbereitet. Damit drohe Ilhan Y. eine lebenslange Haftstrafe. Das gipfelte im Juni in dem perfiden »Angebot« des Gerichts an den Angeklagten, er solle doch ein Geständnis ablegen, sonst müsse er befürchten, länger als 15 Jahre in Haft zu verbringen. Ilhan Y. wertete dieses als Erpressungsversuch und lehnte ab. Widerworte hat der Vorsitzende Richter Mentz gar nicht gern. Da wurde dann schon mal ein Prozeßbeobachter nach vorne zitiert und aufgefordert, er solle sich für sein »ungebührliches Verhalten« entschuldigen. Doch der Besucher, ein Anwalt aus der Türkei, verstand Richter Mentz nicht, denn Richter Mentz spricht kein Türkisch. Dafür bekam der Anwalt drei Tage Ordnungshaft.

Diese selbstgerechte Verhandlungsführung des Senats steht für Schultz in einer gefährlichen Tradition. Sichtlich bewegt erinnerte der Anwalt an den reibungslosen Übergang der Justiz von der Weimarer Republik in den Faschismus und von dort in die Bundesrepublik, »ohne daß auch nur ein Blutrichter verurteilt wurde«. An diesem Punkt der anwaltlichen Generalkritik schien selbst der ansonsten gewollt gleichgültig dreinschauende Richter Mentz aufmerksam zuzuhören. Und so manch einer aus der Richterriege neben ihm öffnete verstohlen die zugefallenen Augen, wenn auch nur kurz.

Mitte November will das Gericht sein Urteil verkünden, das allem Anschein nach schon feststeht: lebenslänglich. Es gründet sich auf vage Indizien und Kronzeugen, deren Glaubwürdigkeit zweifelhaft bleibt, nicht zuletzt wegen der ihnen zugesicherten Straffreiheit.

Jörg Hilbert, Hamburg