DER STANDARD, 14. Oktober 1999

EU will bis 2002 bereit für die Erweiterung sein

Kommission für Gleichbehandlung aller Bewerber außer Türkei

STANDARD-Redakteur Thomas Mayer aus Brüssel

Die konkreten Verhandlungen über einen Beitritt zur Europäischen Union sollen bereits ab Anfang des Jahres 2000 auf alle Bewerberländer außer der Türkei ausgeweitet werden. Dies schlägt die EU-Kommission in ihrem am Mittwoch in Brüssel veröffentlichten zweiten Zwischenbericht über den Erweiterungsprozess vor.

Es könne damit gerechnet werden, dass die am besten arbeitenden Kandidaten im Jahr 2002 ihre bilateralen Verhandlungen mit der EU abgeschlossen haben. Seitens der Union könnten die eigenen Vorbereitungen zur Aufnahme neuer Mitglieder, insbesondere die Reform der Institutionen und die Sicherstellung der eigenen Handlungsfähigkeit, ebenfalls 2002 erfolgreich umgesetzt sein, heißt es in dem Bericht, der unter Federführung von Erweiterungskommissar Günter Verheugen erstellt wurde.

Wie DER STANDARD berichtete, markiert dieser Vorschlag der Kommission an die Staats-und Regierungschefs, die darüber beim Gipfel in Helsinki Mitte Dezember entscheiden, eine Abkehr vom "Gruppenmodell". Seit 1998 wird mit Polen, Tschechien, Ungarn, Slowenien, Estland und Zypern intensiv verhandelt. Die Slowakei, Bulgarien, Rumänien, Litauen, Lettland und Malta standen im "Warteraum".

Wichtigstes Argument gegen das Gruppenmodell in den Hunderte Seiten umfassenden Papieren: Der Prozessverlauf biete ein sehr uneinheitliches Bild der Bewerberstaaten. So habe Ungarn wirtschaftlich wie bei der Anpassung an den EU-Rechtsbestand enorme Fortschritte erzielt. Ähnliches gilt für Polen, wo es aber im Landwirtschafts- und Umweltbereich große Defizite gebe.

Lob für Slowakei

Umgekehrt sei Tschechien wirtschaftlich zurückgefallen. Die Regierung bemühe sich um Reformen, die aber vom Parlament nicht mitgetragen werden. Dafür erfülle nun die Slowakei, der vor einem Jahr noch demokratiepolitische Unreife gemäß den Kopenhagener Kriterien attestiert wurde, jetzt alle Voraussetzungen für EU-Verhandlungen und stehe auch wirtschaftlich gut da. Der Schließungsplan für die beiden V-1-Reaktoren des Atomkraftwerks Bohunice (bis 2006/2008) - Stein des Anstoßes in Österreich - wird von der Kommission ausdrücklich gelobt.

Schluss: Ab 2000 sei offen, welches Bewerberland wann beitreten könne. Das hänge allein vom Erfolg der Anpassung an EU-Niveau ab, wirtschaftlich wie bei den Verwaltungsstrukturen.

Rumänien und Bulgarien stellt die Kommission Bedingungen: Die Bulgaren müssen einen Schließungsplan für das Atomkraftwerk Kosloduj vorlegen, die Rumänen die Betreuung von 100.000 gefährdeten Kindern sicherstellen. Dennoch ist die Kommission aus "politischen Gründen" für Verhandlungsaufnahme auch mit diesen Ländern, um Ansporn zu geben.

Als Sonderfall wird die Türkei beschrieben. Bemerkenswert: Sie wird in dem Bericht bereits als "Kandidat" bezeichnet, worüber unter den EU-Ländern Uneinigkeit besteht. Die Kommission verweist Beitrittschancen der Türkei in eine ferne Zukunft. Aus strategischen Gründen sei es aber sinnvoll, dem Land trotz der ungewissen Menschenrechtssituation eine "Beitrittspartnerschaft" mit umfassender Finanzhilfe und der vollen Teilnahme an allen EU-Programmen anzubieten.