taz, 14.10.1999

Mit krächzender Stimme für die Aussöhnung

Die Erzfeinde Türkei und Griechenland kommen sich immer näher. Mikis Theodorakis singt in Istanbul, Gewerkschaften und Unternehmer beider Länder agieren gemeinsam

Aus Istanbul Jürgen Gottschlich

Liebe Freunde in Istanbul, lasst uns die Blüte der Freundschaft, die aus dem Leid und den Schmerzen tausender entstanden ist, pflegen wie unseren Augapfel." Für einen Moment wurde es still im großen Rund der Open-air-Bühne im Zentrum Istanbuls, als Mikis Theodorakis ans Mikrofon trat. Krank, erschöpft und mit einer brüchigen Stimme, die erst nach und nach ihren alten Klang zurückgewann, beschwor Theodorakis den Beginn einer neuen griechisch-türkischen Freundschaft und warnte vor den Gefahren, die dem zarten Pflänzchen drohen. "Es gibt viele Leute, die gegen eine brüderliche Annäherung sind, und diese Leute haben nach wie vor viel Macht, und sie geben viel Geld aus, um die Öffentlichkeit in unseren beiden Ländern zu beeinflussen."

Seit Jahren kämpft Mikis Theodorakis für eine Aussöhnung zwischen den beiden Nachbarländern. Zusammen mit dem türkischen Sänger und Komponisten Zülfü Livaneli und der Sängerin Maria Farantouri hat er dafür schon etliche Konzerte veranstaltet. Als nach dem Erdbeben in der Westtürkei die große griechische Hilfsbereitschaft zu einer emotionalen Annäherung zwischen den Gesellschaften beider Länder führte, war das Trio erneut zur Stelle. Doch das ursprünglich im September geplante Solidaritätskonzert wurde wegen des Erdbebens in Athen verschoben. Jetzt konnte es stattfinden, am Dienstagabend in Istanbul und letzte Nacht in Athen feierten die drei mit Publikum den Beginn der neuen Freundschaft.

Tatsächlich ist die Chance für eine substanzielle Verbesserung der griechisch-türkischen Beziehungen so gut wie seit Jahren nicht. Zur erdbebenbedingten Annäherung kommt, dass die beiden Außenminister Ismail Cem und George Papandreou beide vom Vorteil einer Verständigung überzeugt sind. Seit Juli finden griechisch-türkische Gespräche auf hoher Beamtenebene statt. Erleichtert wird die Annäherung auch durch die Wandlung Abdullah Öcalans und seiner PKK, deren Unterstützung durch Griechenland die türkische Regierung den Kollegen in Athen in der Vergangenheit sehr übel genommen haben.

Die "Tauben" in beiden Regierungen werden auch von den großen gesellschaftlichen Organisationen unterstützt. Die Konzerte in Istanbul und Athen wurden von den Dachverbänden der Gewerkschaften beider Länder organisiert, in Istanbul war die gesamte Gewerkschaftsprominenz der Türkei und Griechenlands vertreten. Auch die Unternehmer beider Länder mischen kräftig mit. Als Theodorakis auf der Bühne in Istanbul die Völkerfreundschaft beschwor, trafen sich die Spitzen der Unternehmerverbände in Athen, um die Gründung einer griechisch-türkischen Industrie-und Handelskammer vorzubereiten. Der Warenaustausch zwischen beiden Ländern ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen, und beide Seiten sehen noch ein großes Potenzial für die Zukunft.

Das alles kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die unterschiedlichen Positionen in den großen Streitfragen nach wie vor unverändert sind. Als der griechische Außenminister Anfang letzter Woche in Istanbul bei einer öffentlichen Podiumsveranstaltung auftrat, wurde das schnell deutlicht. Das Publikum reagierte enttäuscht über die vermeintliche Unbeweglichkeit Griechenlands in der Zypern-Frage; andererseits war der Auftritt Papandreous an sich schon ein Novum.

Gerade in der Zypern-Frage scheint hinter den Kulissen der Maximalpositionen jedoch Bewegung in die seit Jahren festgefahrenen Verhandlungen gekommen zu sein. Seit der türkische Ministerpräsident Ecevit Ende Oktober in Washington war, rätselt die türkische Presse über mögliche neue Initiativen für Zypern. Clinton hat einen neuen Zypern-Sonderbotschafter ernannt, und vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass der US-Präsident sich am Rande des OSZE-Gipfels, der am 17./18. November in Istanbul stattfindet, zu einem Dreiergipfel mit den Ministerpräsidenten Kostas Simitis und Bülent Ecevit treffen wird. Zur Vorbereitung dieses Treffens wird Clinton extra einige Tage zuvor nach Athen reisen.