taz, 14.10.1999

EU sagt Jein zur Erweiterung

Kommission gibt eine verhalten nachdrückliche Empfehlung für die Erweiterung der EU ab. Die Türkei wird jetzt etwas weniger außen vor gelassen

Aus Brüssel Daniela Weingärtner

Mit einem knallharten "Jein" hat die EU-Kommission gestern in ihrem Strategiepapier zur Osterweiterung auf alle anstehenden Fragen geantwortet. Das Papier bedeute, so der für Erweiterung zuständige Kommissar Günter Verheugen, einen grundlegenden Strategiewechsel: "Wir machen deutlich, dass wir die Kandidaten wirklich wollen, aber wir verschärfen auch die Regeln. Damit werden wir den Prozess vorantreiben und gleichzeitig glaubwürdig halten."

Für Ungarn, Tschechien, Estland, Polen und Zypern, die mitten in den Verhandlungen stecken, bedeutet das, dass auch abgeschlossene Kapitel nochmals geöffnet werden sollen. In der Vergangenheit sind laut Verheugen Kapitel geschlossen worden, wenn sich die Partner theoretisch einig waren. Praktisch habe sich in den Ländern oft kaum etwas bewegt. "In Zukunft werden Kapitel nur geschlossen, wenn der Verhandlungsprozess und der Umsetzungsprozess parallel laufen."

Mit Bulgarien, Rumänien, Lettland, Litauen, Malta und der Slowakei sollen die Verhandlungen schon im nächsten Jahr aufgenommen werden. Bulgarien muss als Voraussetzung bis Ende dieses Jahres "akzeptable Abschaltungsfristen" für seine als gefährlich eingestuften Atomreaktoren Kozloduy 1 bis 4 vorlegen. Rumänien muss ebenfalls bis Jahresende die strukturelle Reform seiner Waisenhäuser in Angriff nehmen und erste Anstrengungen zur Haushaltskonsolidierung unternehmen.

Über das für die Kandidaten eigentlich wichtige Datum, den Beitrittstermin, schweigt sich der Kommissionsbericht aus. Günter Verheugen hat nach seinem Amtsantritt das Jahr 2004 ins Gespräch gebracht, eine verbindliche Erklärung wird vom EU-Gipfel in Helsinki im Dezember erwartet. Die Kommission legt aber fest, dass die EU ihrerseits bis 2002 alle erforderlichen Reformen über die Bühne gebracht haben muss, um für einen Beitritt gerüstet zu sein. Unterschiedliche Entwicklungsgeschwindigkeiten der Kandidaten sollen berücksichtigt werden.

Auch detaillierte Fortschrittsberichte, wie sie die Kommission jetzt für 13 mögliche Neumitglieder - inklusive Türkei - vorgelegt hat, verhindern nicht, dass politisches Kalkül den Ausschlag für den Beitritt gibt.

Die Gratwanderung besteht darin, die "Neuen" zu weiteren Anstrengungen aufzufordern, ohne ihnen die Hoffnung auf einen baldigen Beitritt zu nehmen. Denn der Kandidatenstatus bedeutet für die Länder die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, aber auch die Gewissheit einer härteren Gegenwart. Denn um die von der EU geforderten Mindeststandards zu erreichen, sind oft harte soziale Einschnitte notwendig.

Diese Perspektive wird nun auch der Türkei eröffnet. Zwar wird noch kein Datum für mögliche Verhandlungen genannt, sie erhält aber einen "Vorkandidatenstatus". Der SPD-Abgeordnete Klaus Hänsch kritisierte diese Entscheidung scharf. "Damit bekommt das erste Mal ein Land den Status eines Kandidaten zugebilligt, bevor es die Mindestkriterien erfüllt hat." Damit werde ein dritter Kreis eröffnet. Was man der Türkei zubillige, könne man anderen nicht verwehren. Die Prognose wird auch durch Romano Prodis Zukunftsszenario gedeckt. In seiner Rede forderte er schon mehr Engagement in Russland, der Ukraine, dem Kaukasus und dem Maghreb.