Frankfurter Rundschau 14.10.1999

Vorwürfe verärgern Ankara

Türken fragen nach Verbleib der Spenden für Notleidende

Von Canan Topçu (Ankara)

Auch zwei Monate nach dem Erdbeben bei Izmit herrscht in der Türkei Ungewissheit über den Verbleib der Spenden. Wie viel Geld wurde gespendet? Wohin ist es geflossen, und wofür wird es verwendet? Die Regierung tut sich schwer, Antworten auf diese Fragen zu geben.

Die türkische Öffentlichkeit hat ihr Vertrauen in die Regierung verloren. Die Menschen möchten weiter spenden, sind aber auf Grund der zahlreichen Gerüchte über den Verbleib des Geldes verunsichert. Viele vermuten, dass mit dem Geld das Haushaltsloch geflickt wird. "Wir wissen auch nicht, was genau mit dem Geld passiert", sagt Isilay Saygin, Abgeordnete der an der Koalition beteiligten Mutterlandspartei (Anap). Die Regierung habe angekündigt, in einer der nächsten Parlamentssitzungen Auskunft zu geben.

Ministerpräsident Bülent Evecit reagiert verärgert auf die Frage nach dem Verbleib der Spenden: "Wer uns in dieser Sache misstraut, sollte erst gar nicht spenden." Die Regierung könne kritisiert werden, dass sie "dies und jenes" nicht gut hinbekommen habe. In puncto Spendenverwaltung sei aber der Vorwurf nicht gerechtfertigt. "Das Geld wird ausschließlich für die Opfer des Erdbebens verwendet", betont Ecevit. Alle Spenden seien in den Katastrophen-Fonds geflossen, der von einer Kontroll-Kommission verwaltet werde. Diese setze sich aus Mitgliedern der Regierung und Vertretern regierungsunabhängiger Organisationen zusammen. Der Verwendungszweck des Geldes werde genau verfolgt.

Für das Misstrauen innerhalb der Bevölkerung macht der Ministerpräsident die türkischen Medien verantwortlich. Sie hätten durch ihre negative Berichterstattung Stimmung gegen die Regierung gemacht. Gerade die Presse war es aber, die die Unfähigkeit der Regierung an den Tag brachte. "Die Zeit verstreicht, ohne dass das Geld sinnvoll ausgegeben wird", lautet unisono die Kritik.

Da sind zum einen die Fehlplanungen in puncto Unterkünfte: Es stellte sich heraus, dass es sich bei den Grundstücken, die die Zentralregierung anhand alter Karten freigab, um bereits bebaute oder - wie in Izmit - um den Garten eines Militärhospitals handelte. Da sind die Leichtbauhäuser, die dem Regen nicht standhalten. Und es ist die Rede von den Machenschaften der Regierungsparteien bei der Vergabe von Bauaufträgen. Dabei entzog Ankara den vom Erdbeben betroffenen Kommunen die Befugnisse für Bauvorhaben, um Korruption zu verhindern. Baugenehmigungen werden nur von der Zentralregierung erteilt. Berichtet wird aber darüber, dass die Firmen, die den Regierungsparteien nahe stehen, bevorzugt behandelt werden.

Doch auch andere Wege werden beschritten - so startete etwa die "Stiftung für ehrenamtliche Bildungsarbeit" die Spenden-Kampagne "Lebens-Viertel". Sie lässt unter eigener Aufsicht 250 Wohneinheiten in mehreren Städten errichten.