Frankfurter Rundschau 14.10.1999

Kandidatur jetzt, Gespräche später

Im Blickpunkt: Die Türkei und die EU

Von Knut Pries (Berlin)

Berlin und Brüssel versuchen, der Türkei den langen Weg in die Europäische Union zu ebnen. Das Motto lautet "Kandidatur jetzt, Beitrittsverhandlungen später". Ob die EU-Partner und die Regierung in Ankara mitziehen, ist ungewiss.

Kontinuität ist das Glaubensbekenntnis deutscher Außenpolitik, auch unter rot-grüner Ägide. Eine kräftige Akzentverschiebung freilich gibt es: Gegenüber der Türkei setzt Außenminister Joschka Fischer auf nachhaltige Lockerung. Sie soll die Verkrampfung nach dem Luxemburger Gipfel vom Dezember 1997 lösen, vor allem das Gefühl der Türken, gegenüber anderen Bewerbern um Mitgliedschaft in der EU diskriminiert zu werden. Wegen der "strategischen Nachbarschaftssituation, in der Isolierung fatal wäre", ist es aus Sicht der deutschen Diplomatie unbedingt geboten, "die psychologischen Barrieren von Luxemburg wegzuräumen". Andernfalls fördere man fahrlässig die Illusionen türkischer Politiker, ihr Land könne alternativ eine Rolle als Regionalgroßmacht und Kraftzentrum der Turkvölker spielen.

Instrument der Ermunterung ist die Erhebung in den Status eines offiziellen Kandidaten, verbunden mit einem Fahrplan ("road map"), wie die Türkei Schritt für Schritt, Reform für Reform die so genannten Kopenhagener Kriterien erfüllen und damit EU-fähig werden soll. Zwar scheiterte im Juni der erste Anlauf, dies auf dem Kölner EU-Gipfel den Partnern schmackhaft zu machen. Berlin sieht aber nach wie vor gute Chancen, einen entsprechenden Beschluss im Dezember auf der Konferenz der Staats- und Regierungschefs in Helsinki zustande zu bringen. Auch wenn Diplomaten dementieren, "dass wir hier antreiben" - es handelt sich nicht nur um einen uneerledigten Tagesordnungspunkt der deutschen EU-Präsidentschaft, sondern um ein besonderes Anliegen Fischers, das von seinem früheren Staatsminister Günter Verheugen als neuem EU-Kommissar für die Osterweiterung gestützt wird.

Rudolf Scharpings Verteidigungsministerium kann sich flankierend einen zwangloseren Zugang der Türkei zu deutschen Rüstungsexporten vorstellen, wenn das Land erstmal formell als EU-Kandidat approbiert ist.

Der Erfolg der Bemühungen hängt von einer Gutwilligkeit ab, die auf beiden Seiten keineswegs sicher ist. Die Türkei würde zwar Kandidat - schlösse aber immer noch nicht zu Ländern wie Bulgarien oder Rumänien auf, weil die bisherigen Bewerber zweiter Ordnung in Helsinki ebenfalls einen Sprung nach vorn machen und an den Verhandlungstisch befördert werden sollen. Wird sich Ankara darauf einlassen? "Sie äußern sich nicht klar und deutlich", heißt es dazu im Berliner Außenamt. Man sei aber zuversichtlich: Regierungschef Bülent Ecevit habe in einem Brief an Bundeskanzler Gerhard Schröder im Mai eingeräumt, dass die Kopenhagener Hürden für sein Land sehr hoch lägen, der Beginn regulärer Verhandlungen mithin noch nicht anstehe.

Umgekehrt müßte sich die EU dazu durchringen, eine türkische Mitgliedschaft aus der Sankt-Nimmerleinszone in den Bereich überschaubarer Zukunft zu holen. Wie schwierig das wird, war vergangene Woche im Europa-Parlament zu verfolgen: Je konkreter die Perspektive, desto größer die Widerstände. Derselbe, aus Zeiten der deutschen Wiedervereinigung geläufige Mechamismus, dürfte auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht anders sein, auch wenn die Griechen, Leidensgenossen in der seismischen Gefahrenzone, von ihrem kategorischen Veto abgerückt sind.

"Die Griechen sind nicht mehr das Hauptproblem. Jetzt kommen die anderen langsam aus der Deckung", heißt es dazu in Regierungskreisen.