ap, 13.10.1999 19:43

Prodi regt neue Beitrittsgespräche mit sechs Kandidaten an

EU-Erweiterung laut Kommissionspräsident 2003 möglich - Türkei erstmals als Bewerberstaat anerkannt

Brüssel (AP) - Nach einem Vorschlag von EU-Kommissionspräsident Romano Prodi soll die Europäische Union im kommenden Jahr Beitrittsgespräche mit sechs Bewerberstaaten aufnehmen. Die ersten Neulinge könnten bereits im Jahr 2003 aufgenommen werden, sagte Prodi vor dem EU-Parlament in Brüssel. Lettland, Litauen, Malta und die Slowakei hätten die für die Verhandlungen notwendigen Bedingungen bereits erfüllt; lediglich Bulgarien und Rumänien müssten noch einige der Voraussetzungen schaffen. Die Türkei wurde von der Kommission erstmals als Kandidat anerkannt.

In einer Erklärung des Gremiums hieß es, Gespräche mit der Regierung in Ankara könnten erst aufgenommen werden, wenn sich die Menschenrechtssituation in der Türkei deutlich verbessert habe. Der türkische EU-Botschafter Nihat Akyol äußerte sich dennoch erfreut über die Bestätigung seines Landes als Bewerberstaat. «Mit dem Vorschlag, der diskriminierenden Haltung gegenüber der Türkei ein Ende zu bereiten, hat sich die Kommission entschieden, eine Ungleichheit zu beseitigen, über die sich die türkische Bevölkerung sehr geärgert hat», sagte Akyol.

Prodi sagte, in Bulgarien seien weitere wirtschaftliche Reformen nötig sowie eine Einigung über die Schließung von als unsicher geltenden Anlagen eines Kraftwerks in Kozloduy. In Rumänien müssten unter anderem die Einrichtungen zur Kinderfürsorge verbessert werden. Für eine Aufnahme in die EU müssen die Kandidaten bestimmte politische und wirtschaftliche Voraussetzungen erfüllen, darunter eine funktionierende Marktwirtschaft und ein stabiles Rechtssystem.

Der Kommissionspräsident bezeichnete die mögliche Gesprächsaufnahme als historisch seltene Gelegenheit. «Zum ersten Mal seit dem Untergang des Römischen Reiches haben wir die Chance, Europa zu vereinigen - diesmal nicht mit Waffengewalt, sondern auf der Grundlage gemeinsamer Ideale und vereinbarter Regeln», sagte er. Der Schritt sei auch nötig, um Rückschritte einzelner Staaten auf ihrem Weg zur Demokratie zu vermeiden. Bei ihrem Gipfeltreffen im Dezember in Helsinki werde die EU-Kommission die Staats- und Regierungschefs der Bewerberstaaten auffordern, die zur Aufnahme notwendigen Reformen bis Ende 2002 umzusetzen, sagte Prodi.

Der für die Erweiterung zuständige EU-Kommissar Günter Verheugen sagte, die Gesprächsaufnahme im kommenden Jahr sei ein Kompromiss zwischen sich unter Umständen widersprechenden Zielen Schnelligkeit und Qualität. Bundeskanzler Gerhard Schröder wollte sich auf dem EU-Sondergipfel im finnischen Tampere nach Angaben aus Regierungskreisen ebenfalls dafür aussprechen, dass die EU bis 2003 alle Voraussetzungen für die Erweiterung schafft. Die Sonderbehandlung der Türkei in dieser Frage hatte zu Verstimmungen zwischen Ankara und der EU geführt. Die EU führt bereits Aufnahmegespräche mit Zypern, Estland, Slowenien, Polen, Ungarn und Tschechien.