Frankfurter Rundschau 7.10.1999

Vorbehalte gegen die Türkei

EU-Kandidatur trifft im Straßburger Parlament auf Skepsis

Von Martin Winter

STRASSBURG, 6. Oktober. Nur knapp ist die EU-Kommission im Europäischen Parlament einer Abstimmungsniederlage entgangen. Mit 223 zu 218 Stimmen bei 88 Enthaltungen hoben die Abgeordneten am Mittwoch die Formulierung in eine Resolution, derzufolge die Mitgliedschaft der Türkei in der EU "ein wichtiger Beitrag für die künftige Entwicklung der Europäischen Union und für Frieden und Sicherheit in Europa" sein würde.

Gegen diesen Satz hatte fast die komplette konservative Fraktion (EVP) gestimmt, die keinen Zweifel daran ließ, daß sie weder heute noch in Zukunft einen Platz für die Türkei in der EU sieht.

Aber auch bei Sozialisten (PSE) und Grünen traf die vom Erweiterungskommissar Günter Verheugen vorgetragene Absicht von Europäischem Rat und Kommission auf Skepsis, Ankara auf dem nächsten EU-Gipfel offiziell in den Status eines EU-Kandidaten zu erheben. Diese Absicht qualifizierte Klaus Hänsch, sozialdemokratischer Abgeordneter und früherer Präsident des Parlamentes, als "bruchlose Fortsetzung der konzeptionslosen Türkeipolitik von Rat und Kommission". Wer bereit sei, die Türkei aufzunehmen, der werde sich Beitrittswünschen der Ukraine und diverser Kaukasusrepubliken nicht verschließen können.

Zu Beginn der Debatte hatte Verheugen die "strategische Bedeutung" der Türkei für die EU hervorgehoben und die Hoffnung geäußert, dass der Kandidatenstatus der Reformbewegung im Land neuen Schub geben werde.

Für die EVP hatte deren Vorsitzender Hans-Gert Pöttering die entscheidende Passage mit der Begründung abgelehnt, dass eine Mitgliedschaft der Türkei in der EU eine "politisch, ökonomisch und kulturell neue Qualität" geben würde. Eine direkte Unterstützung bekam die Kommission in der Resolution nicht. Das Parlament bestätigte nur "erneut", dass die Türkei das Recht habe, eine Mitgliedschaft zu beantragen. Zugleich wurde die Türkei aufgefordert, ihre Kurdenpolitik zu ändern, in der Zypernfrage eine friedlichen Kompromiss auf Grundlage der UN-Beschlüsse zu suchen und die Todesstrafe abzuschaffen.