junge Welt 6.10.1999

Der Asylentscheid aus Rom kam zu spät

Italien: Gericht erkennt Status des PKK-Chefs als politisch Verfolgten in der Türkei an

Abdullah Öcalan, der im Juni in der Türkei zum Tode verurteilte PKK-Führer, erhält politisches Asyl in Italien. Diese unerwartete Entscheidung traf am Montag die zweite Sektion des Zivilgerichts Rom. Das Gericht hatte festgestellt, daß Öcalan - dem Wortlaut des Artikels 10 der italienischen Verfassung entsprechend - »in seinem Land an der effektiven Ausübung der von der italienischen Verfassung garantierten demokratischen Freiheiten gehindert wird, und daß er somit Asylrecht auf dem Gebiet der (italienischen) Republik« genieße. Im entscheidenden Teil des vom Vorsitzenden Paulo De Fiore verhängten Urteils heißt es: »In der Türkei, trotz einiger jüngster Schritte nach vorn, besteht eine weit verbreitete Unterdrückung der individuellen Grundfreiheiten, und im besonderen für die Angehörigen der kurdischen Ethnie eine Behinderung der effektiven Ausübung der demokratischen Freiheiten, die unsere Verfassung garantiert.«

Die Neuigkeit traf die Mitte-Links-Regierung unter Führung von Massimo D'Alema offensichtlich unvorbereitet; prompt hüllte sich Rom in verlegenes Schweigen. Dagegen reagierten Vertreter der rechten Opposition und sprachen von einer »bestürzenden Entscheidung« (Maurizio Gasparri, postfaschistische Nationale Allianz) und einer »weiteren Ohrfeige für die türkische Regierung« (Carlo Giovanardi, Christdemokrat). Die Partei Rifondazione Comunista (PRC) griff hingegen die Regierung für ihre widersprüchliche Haltung an. »Es ist sehr schlimm, daß sich die Regierung bis zuletzt mittels der Anwaltschaft des Staates gegen die Gewährung des Asylrechts gestemmt hat.«

Natürlich triumphierten die italienischen Anwälte des PKK-Führers nach Bekanntwerden des Urteils. Giuliano Pisapia sprach von einer »Entscheidung von außerordentlicher Wichtigkeit«, die sich als nützlich herausstellen könne. »Erstens stärkt sie den Willen in der Türkei, den Friedensprozeß fortzusetzen. Zweitens setzt sie die italienische Regierung in die Lage, die Verpflichtung, die sie gegenüber dem Parlament und den Anwälten Öcalans, als dieser sich noch in Italien befand, übernommen hat, zu respektieren, nämlich sich für einen Friedensprozeß stark zu machen.« Pisapia verneint jedoch, daß das Urteil des römischen Gerichts in irgendeiner Weise Auswirkungen auf die in dieser Woche beginnende Verhandlung der türkischen Berufungsinstanz über das Todesurteil gegen Öcalan haben könne. »Ich denke dagegen, daß diese Entscheidung dem Parlament in Ankara einen bedeutenden Beitrag liefern kann, das so einen Grund mehr hat, die Ausführung der Todesstrafe nicht zu ratifizieren.«

Die italienische Regierung ist nun gezwungen, zu reagieren. Selbst wenn sie die ganze Angelegenheit am liebsten begraben möchte, so wie sie sich im Januar feige Öcalans entledigt hatte, zwingen allein die Reaktion aus Ankara schon zum Handeln. Schon wieder ist da die Rede von den »unzuverlässigen Italienern«; »erst schieben sie den PKK-Chef ab, dann gewähren sie ihm politisches Asyl«, heißt es bei türkischen Medien. Der türkische Justizminister Hikmet Sami Turk lies verlauten, daß die richterliche Entscheidung aus Rom nicht umgesetzt werden könne. Tatsächlich dürfte es die Regierung in Rom schwer haben, das Urteil zu realisieren, es sei denn, sie reagierte wie die Türkei, die Ende letzten Jahres eine Art Handelsboykott italienischer Waren inszenierte und die türkische Öffentlichkeit gegen Rom aufbrachte. Doch ist dies eher unwahrscheinlich. Hatte die Regierung D'Alemas doch in den vergangenen Wochen die Beziehungen zur Türkei wieder normalisiert, und die Regierung wird die Erfahrung vom vergangenen Jahr angesichts der gewichtigen wirtschaftlichen Interessen kaum wiederholen wollen.

Cyrus Salimi-Asl, Neapel