Frankfurter Rundschau 6.10.1999

Neuer Prozess gegen Öcalan

Verfahren in der Türkei / Italien räumt PKK-Chef Asylrecht ein

ATHEN/BREMEN, 5. Oktober (öhl/stg/ ap). Dem wegen Hochverrats zum Tode verurteilten PKK-Chef Abdullah Öcalan steht ein weiteres Strafverfahren bevor. Gemeinsam mit rund 100 Gesinnungsgenossen soll er sich wegen Bildung einer bewaffneten Vereinigung vor Gericht verantworten, berichtete am Dienstag die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Darauf steht ebenfalls die Todesstrafe. Das Verfahren soll am 15. Dezember vor einem Gericht in Ankara beginnen.

Der neue Prozess, der sich über Monate hinziehen könnte, dürfte dazu führen, dass das bereits Ende Juni vom Staatssicherheitsgericht Ankara gegen Öcalan verhängte Todesurteil zunächst nicht vollstreckt wird. Es befindet sich derzeit in der Revisionsinstanz. Sollte es dort bestätigt werden, müssten das Parlament und der Staatspräsident eine Hinrichtung des PKK-Chefs ausdrücklich billigen, bevor das Urteil vollstreckt werden könnte.

Außerdem ist der Fall in Form einer Beschwerde der Anwälte Öcalans vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig, der das erstinstanzliche Urteil aussetzen könnte. Eine Hinrichtung Öcalans würde nach Einschätzung von Beobachtern die Beziehungen der Türkei zu Europa schwer belasten.

Acht kurdische Rebellen, die sich vorige Woche mit einer Friedensbotschaft dem türkischen Militär gestellt hatten, sind am Dienstag in Mus inhaftiert worden.

Einer der türkischen Anwälte von Öcalan forderte die italienische Regierung dazu auf, Konsequenzen aus dem Urteil eines römischen Gerichtes zu ziehen, wonach der Kurdenführer in Italien Recht auf politisches Asyl habe. Eine Überstellung aus der Türkei nach Italien sei zwar wohl nicht möglich, meinte der Anwalt Ahmet Avsar am Dienstag in Bremen, aber die römische Regierung könnte beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof darauf hinweisen, dass der Öcalan-Prozess nicht rechtsstaatlich abgelaufen sei. Öcalan hatte den Antrag vor knapp einem Jahr während eines Italien-Aufenthalts gestellt. Im Februar wurde er dann in Kenia verhaftet und in die Türkei gebracht.

Im Revisionsprozess, der am Donnerstag vor dem obersten Berufungsgericht der Türkei beginnt, wollen Öcalans Anwälte laut Avsar beantragen, die Todesstrafe in lebenslange Haft zu verwandeln, wenn kein Freispruch zu erwirken sei.