jw, 4.10.1999

Blockiert Ankara weiter den Friedensprozeß?

Gespräch mit dem PKK-Funktionär Duran Kalkan

(Mitglied im Präsidialrat der Arbeiterpartei Kurdistans, PKK. Das Interview erschien am 27. September in der Zeitung »Özgür Politika«)

F: Die PKK hat erneut ihre Bereitschaft zum Dialog mit Ankara bekräftigt. Im August hatte Ihre Organisation das Ende des bewaffneten Kampfes angekündigt. Wie werten Sie die Entwicklung des Friedensprozesses?

Ich verstehe, daß es zu dem von der PKK initiierten Friedensprozeß skeptische Fragen gibt, aber: Zweifelsohne ist der Prozeß, den wir entwickeln und in die Wege leiten wollen, zugunsten der Völker und wiederum zum Vorteil jener, die Demokratie und Frieden wollen. Die jüngsten Schritte sind ein außerordentlich wichtiger Wendepunkt, von denen der Erfolg des Prozesses abhängen kann. Die Menschen in der Türkei haben das Bedürfnis nach praktischen Schritten. Man sollte jetzt keine Zeit verlieren und nach den Diskussionen und Versprechungen dazu übergehen, alles langsam in die Praxis umzusetzen, die notwendige Politik für Frieden und Demokratie zu entwickeln und hierfür notwendige Reformen zu vollziehen. Es darf keinen Platz für Unentschlossenheit und Befürchtungen geben. Eine so wichtige Entwicklungsphase nicht zu verstehen und die Veränderungen, die auf einer Basis von Frieden und Demokratie möglich sind, nicht zu sehen, oder sogar eine entgegengesetzte Haltung an den Tag zu legen, das ist in meinen Augen unverantwortlich.

F: Die Frage bleibt, wie dies aber realisiert werden soll.

Ohne die Beteiligung verschiedener politischer Kreise in der Türkei wird es schwer werden, den notwendigen Demokratisierungsprozeß in der Türkei anzuschieben. Die Türkei steht vor einer Entscheidung für einen Demokratisierungsprozeß, in dem ein ganz wichtiger, wesentlicher Teil die Lösung der Kurdenfrage ist. Die PKK will sich zugunsten der Völker für eine fortschrittliche, zukunftsorientierte Türkei einsetzen und bietet dafür ihre Unterstützung an. Wir erwarten, daß diese Unterstützung grundsätzlich verstanden wird, daß man sie angemessen aufgreift und entsprechend den Interessen der Völker der Türkei die besten Entscheidungen trifft.

F: Welche Bedeutung messen Sie dabei der Politik in Europa zu?

Meiner Ansicht nach sind die demokratischen Kräfte Europas ebenfalls gefordert. Wenn diese sich selbst um die Entwicklung des Prozesses bemühen würden, hätten sie ihre demokratischen Aufgaben erfüllt, die sie ja haben. Es reicht aber nicht aus, nur Erklärungen abzugeben. Unsere Initiative für Frieden kann nur durch weitere praktische Maßnahmen vorwärtsgebracht werden. Nur mit politischen Schritten erweckt man derartige Erklärungen zum Leben.

Die PKK-Gruppe für Frieden und Demokratie ist eine Geste des guten Willens, um die von uns am 1. September 1998 begonnene Etappe für eine politische Lösung weiterzuentwickeln. Und daran haben wir ein ernsthaftes Interesse: Am 1. September 1998 hatte die PKK ihren dritten einseitigen Waffenstillstand gegenüber der Türkei erklärt. Die Gruppe will sich an die türkische Gesellschaft ebenso wenden wie an den türkischen Staat.

Wir sind für all jene offen, die eine demokratische Lösung des Problems suchen. Doch diese Entwicklungen sollen offensichtlich blockiert werden. Die Verschleppung von Abdullah Öcalan und die noch immer anhaltenden Angriffe gegen die PKK sind Teil eines internationalen Versuchs, die Friedensbemühungen der PKK ins Leere laufen zu lassen. Die PKK hat keine Auseinandersetzung zwischen dem kurdischen und dem türkischen Volk schaffen wollen. Wir haben alles versucht, entsprechende Entwicklungen zu stoppen. Wir haben Anfang August den bewaffneten Kampf eingestellt. Es bedarf dieser Gesten des guten Willens, damit das Mißtrauen zwischen den Völkern, das nach 15jährigem Krieg entstanden ist, sowie all die Vorurteile aufgehoben werden können. Es muß eine Atmosphäre geschaffen werden, in der sich die demokratischen Kräfte auch entwickeln können.

F: Derzeit wird in den Gefängnissen der Türkei gegen die in dem Land herrschenden Haftbedingungen gestreikt. Halten Sie an Ihrer Forderung nach einer Generalamnestie für alle politischen Gefangenen fest?

Der Erfolg der PKK-Friedensdelegation ist eng verknüpft mit der Situation in der Türkei. Die Bedingungen dafür, daß sich in der Türkei Frieden und Demokratie entwickeln, sind erst noch zu schaffen. So muß selbstverständlich die gegenwärtige Rechtsordnung größtenteils verändert werden. Im gegenwärtigen Recht gibt es so gut wie keine Demokratie. Für die Kurden ist kein Platz, es gibt keine rechtlichen Garantien für die verschiedenen Volksgemeinschaften, für verschiedene Kulturen, für den freien Gebrauch der Sprachen. All das muß sich ändern. Es muß ein angemessener rechtlicher Rahmen geschaffen werden. Eine neue Rechtsordnung muß die Situation aller PKK-Gefangenen sowie aller, die gekämpft haben, berücksichtigen. Mit einer engstirnigen Herangehensweise seitens der Türkei kann niemand etwas erreichen.

Das in der Türkei geltende Reue- und das Antiterrorgesetz sind mehr als untauglich. Es ist nicht möglich, eine Friedens- und Demokratiephase mit dieser Art von Gesetzen voranzubringen. Eine Generalamnestie für alle politischen Gefangenen ist notwendig. Es ist zwingend, daß entsprechende Gesetze vorbereitet und erlassen werden. Außerdem muß die Organisationsfreiheit und die Freiheit der politischen Betätigung garantiert werden, damit die Kräfte sich entsprechend ihrem Verständnis demokratisch und politisch betätigen können.

Doch: Trotz der starren Haltung des türkischen Regimes, dessen Institutionen bis hin zum Generalstab zwar einige positiv zu interpretierende Erklärungen abgegeben haben, die jedoch noch nicht in die Praxis umgesetzt worden sind, bin ich optimistisch.

Übersetzung: Karin Leukefeld