Neue Züricher Zeitung, 4.10.1999

Kapitulation einer Gruppe von PKK-Kämpfern

Unnachgiebige Haltung der türkischen Regierung

Am Freitag ist eine Gruppe von PKK-Kämpfern in die Türkei eingereist, um sich den Behörden zu ergeben. Die PKK will damit ihren guten Willen zur Beilegung des Kurdenkonflikts unterstreichen, der türkische Präsident Demirel vertritt aber weiterhin eine harte Linie.

paz. Istanbul, 3. Oktober

Am Freitag ist eine Gruppe von Kämpfern der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) aus dem Nordirak in die Türkei eingereist und hat sich den türkischen Behörden gestellt. Die PKK will damit ihren Willen zu einer politischen Lösung des Kurdenkonflikts und der Beendung ihres 15jährigen bewaffneten Kampfes unterstreichen. Die acht oder neun Personen wurden von einem früheren Sprecher der PKK in Europa angeführt. Sie übergaben den Behörden Briefe der PKK-Führung an die militärische und politische Spitze der Türkei. Journalisten und Anwälte, die die Kapitulation der Gruppe im äussersten Südosten des Landes mitverfolgen wollten, wurden daran gehindert.

Harte Linie Ankaras

Trotz der seit einigen Tagen angekündigten Kapitulation geht Ankara mit der gewohnten Härte gegen die Guerilleros vor. Seit der vergangenen Woche führt die türkische Armee grosse Operationen gegen PKK-Basen im Nordirak durch. Dabei sollen nach Agenturberichten 30 PKK-Kämpfer getötet worden sein. Weitere Kämpfer seien in der Türkei selber umgekommen. Seit dem 1. September zieht sich die PKK auf Befehl ihres inhaftierten und zum Tode verurteilten Führers, Abdullah Öcalan, aus der Türkei zurück. Es wird angenommen, dass der Nordirak eines der bevorzugten Rückzugsgebiete ist, denn die Region befindet sich seit dem Golfkrieg ausserhalb des Machtbereichs Bagdads. Die türkische Militärführung sieht im Rückzug der PKK allerdings nur eine taktische Finte und eine Propagandaaktion. Sie hat wiederholt erklärt, dass sie weiterkämpfen wolle, bis der letzte PKK-Militant unschädlich gemacht sei.

Auch Präsident Demirel spricht von einem taktisch motivierten Rückzug und erklärte in seiner Ansprache zur Eröffnung des Parlaments am Freitag, dass der Entscheid der PKK, den bewaffneten Kampf zu beenden, die Gefahr für das Land nicht vermindere. Der Wille des Staates, den Terror zu beenden, sei unverändert. Demirel rief alle PKK-Mitglieder dazu auf, sich der türkischen Justiz zu stellen, um von einem vor kurzen verabschiedeten Amnestiegesetz zu profitieren. Die Anwälte von Öcalan, die als Relais zwischen dem PKK-Führer und der Basis fungieren, veröffentlichten eine Erklärung, nach der die gesamte PKK zur Aufgabe bereit sei, wenn die notwendigen rechtlichen und politischen Reformen in der Türkei durchgeführt würden. Weitere Schritte hingen davon ab, wie die erste Gruppe von Kapitulierenden behandelt werde.

Demirel will Verfassungsreformen

In seiner zweistündigen Rede am Freitag schlug Demirel aber auch progressive Töne an. Der Vorsitzende des Kassationsgerichts, Selcuk, hatte vor Monatsfrist die türkische Verfassung als kaum rechtmässig bezeichnet. Demirel ging nicht ganz so weit, doch sagte er, dass die Verfassung, die 1982 von der damaligen Militärjunta geschrieben worden war, der Türkei zwar eine verfassungsmässige Ordnung gegeben habe, doch könne diese nicht als demokratisch bezeichnet werden. Die Türkei brauche nun einen neuen demokratischen Gesellschaftsvertrag.