Süddeutsche Zeitung 2.10.1999

Gute Dienste

Noam Chomsky zur Beziehung von Politik und Sprache

Es ist eine vielfältige Erfahrung dieses Jahrhunderts, wie eng Sprache und Politik zusammenhängen. Wenn Nato-Sprecher Jamie Shea im Kosovo-Konflikt in seinen täglichen Pressekonferenzen den Stand der Dinge verlautbarte, dann ging es nicht bloß um die Mitteilung von Fakten, sondern ebenso sehr um die sprachliche Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Wenn der amerikanische Verteidigungsminister die stärksten historischen Vergleiche bemühte, dann ging es nicht so sehr um die "Wahrheit" - die im Krieg auf der Strecke bleibt -, vielmehr um Legitimation mit den Mitteln der Sprache. Inzwischen sollen auch die Tagebuchnotizen eines Verteidigungsministers die Entscheidungsfindung damals illustrieren. In all diesen Beispielen geht es, mit einem Wort, um möglichst glaubwürdige Sprachregelungen, die der Politik nützen.

Wer die "richtige" Sprache beherrscht, beherrscht auch den politischen Prozess. Ohne Zweifel ist der weltberühmte, inzwischen 79jährige Sprachwissenschaftler Noam Chomsky, von dem es heißt, er sei der meistzitierte lebende Autor im wissenschaftlichen Feld, wie kein anderer dazu berufen, über das Zusammenspiel und den Zusammenhang von Sprache und Politik zu räsonieren. Er tut das seit rund vierzig Jahren. Die Erfahrung des Vietnamkrieges - oder besser: die Erfahrung, mit welchen Lügen, Vernebelungsmanövern und Euphemismen die abenteuerliche Interventionspolitik der Vereinigten Staaten in einem kleinen südostasiatischen Land dem US-amerikanischen Publikum "verkauft" wurde - öffnete Chomsky den Blick für die undurchsichtige Gemengelage von Politik, Krieg, Repression und Desinformation. In sein Visier gerieten dabei vor allem jene Journalisten und Intellektuellen, die die regierungsoffizielle Propaganda vom notwendigen oder gerechtfertigten Krieg ungeprüft weiterverbreiteten. Ihnen gilt Chomskys Zorn.

Bei so viel Willfährigkeit der professionell denkenden und schreibenden Zunft gegenüber den Parolen und Sprachregelungen der Politik verwundert es kaum, dass Chomsky in den USA als Extremist der schlimmsten Sorte gilt, weil er die Dinge ungeschönt beim Namen nennt - und an ein amerikanisches Tabu rührt, das schier unerschütterlich scheint. Dabei spricht der Mann nur aus, was sozusagen offensichtlich ist und was regierungsamtliche Quellen, denen er sich besonders gerne und häufig bedient, preisgegeben, wenn man sie nur richtig liest: dass die US-amerikanische Gesellschaft nach innen - gegen große Teile der eigenen Bevölkerung - wie nach außen - gegen die Habenichtse und Billiglieferanten der Dritten Welt - vom Kitt massiver Gewaltanwendung zusammengehalten wird.

Orwells Problem

Wie kommt es nun, fragt Chomsky, dass das so Offensichtliche von so wenigen gewusst und als Wissen weitergegeben wird? Denn es bedarf weder besonderen Scharfsinns noch eines privilegierten Zugangs zu Informationen, um zu wissen, dass die USA (aber auch die anderen industriellen Demokratien des reichen Westens) nicht gerade zimperlich waren und sind, wenn eigene politische, geostrategische, wirtschaftliche und militärische Interessen auf dem Spiel stehen. Es ist kaum zu zählen, wie viele Militärdiktaturen und Terrorregimes, etwa in Nicaragua, Guatemala, Chile, heute in Syrien und der Türkei, die USA unterstützt haben und immer noch unterstützen - im Namen von "freedom and democracy" (Brecht) und ungezügelter Marktlogik.

In Anlehnung an den Roman 1984 spricht Chomsky von "Orwells Problem", wenn er die Diskrepanz erklären will, die zwischen dem besteht, was wir wissen können, und dem, was wir tatsächlich wissen. Noch immer, so Chomsky, verfügen die westlichen Gesellschaften über ein beträchtliches Maß an Freiheit und Wohlstand, welches die Illusion nährt, Freiheit und Wohlstand müssten nur weltweit exportiert werden - die Länder der Dritten Welt seien eben bloß "noch nicht so weit". Daher beschwichtigende Redeweisen wie die, das kapitalistische Wirtschaftssystem, das pro Tag an die 100 000 Opfer fordert, die an Hunger oder vermeidbaren Krankheiten sterben, habe "der Welt gute Dienste geleistet" - so der frühere US-Außenminister Henry Kissinger.

Gravierender aber, was "Orwells Problem" betrifft, ist die Tatsache, dass die wissenswerten Informationen und die Sprache, in der diese transportiert werden, vorfabriziert, insofern manipuliert sind. Der einzelne Kunde der großen, global operierenden Medienkonzerne und -konglomerate ist keineswegs der "König", vielmehr Abnehmer einer Ware, deren Qualität er nicht kontrollieren kann. Gewiss neigt Chomsky gelegentlich allzu sehr zu verschwörungstheoretischen Annahmen, als gebe es Absprachen zwischen den westlichen Politik- und Wirtschaftseliten. Aber zweifellos trifft er mit seinen Analysen des Zusammenhangs von Sprache und Politik einen zentralen Punkt - dass die verdinglichte Warensprache der industriellen Demokratien politische Sachverhalte eher verdunkelt als erhellt.

Bei aller Schwarzseherei hat sich Chomsky vorsichtigen Optimismus bewahrt. Das Beste, was wir tun können, heißt es am Ende, ist, "in Einklang mit unseren Intuitionen und Hoffnungen zu handeln". HANS-MARTIN LOHMANN

NOAM CHOMSKY: Sprache und Politik. Herausgegeben und aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Michael Schiffmann. Philo Verlag, Bodenheim 1999. 256 Seiten, 39,80 Mark