junge Welt 1.10.1999

Wenig versprochen - nichts gehalten

Pro Asyl zieht zum Tag des Flüchtlings ernüchternde Bilanz rot-grüner Migrantenpolitik

Unter dem Motto »Die Würde das Menschen ist ausweisbar«, findet auf Initiative von PRO ASYL, Kirchen, Gewerkschaften, Wohlfahrts- und Menschenrechtsorganisationen bundesweit am 1. Oktober der Tag des Flüchtlings statt. PRO-ASYL-Sprecher Heiko Kauffmann nahm am Donnerstag diesen Tag zum Anlaß für eine kritische Zwischenbilanz der bisherigen rot- grünen Regierungsarbeit. »Nur wenig wurde versprochen - kaum etwas gehalten«, so sein Resümee. Maßstab für diese Einschätzung sind die Vorhaben, die Rot-Grün in der Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998 selbst formuliert hatten.

Die von der rot-grünen Bundesregierung versprochene Altfallregelung ist mittlerweile fast außer Sicht geraten. Das mehrmalige Vertagen in der Innenministerkonferenz belegt, daß die Innenminister des Bundes und der Länder das Thema gemeinsam aussitzen wollen, während gleichzeitig abgeschoben wird. Durch die schleppende Behandlung des Themas haben sich vor dem Hintergrund veränderter Mehrheitsverhältnisse in den Ländern die Chancen für eine Altfallregelung verschlechtert.

»Die permanente Ungewißheit vieler seit Jahren in Deutschland lebender und integrierter Flüchtlinge, ob sie bleiben können oder abgeschoben werden, ist unerträglich«, so Kauffmann. Auch der Deutsche Caritasverband und der Kölner Flüchtlingsrat haben die Forderung nach einer neuen Altfallregelung für abgelehnte Asylsuchende und ausreisepflichtige Ausländer bekräftigt. Dabei sollte die geforderte Aufenthaltsdauer bei alleinstehenden Erwachsenen nicht mehr als fünf und bei Familien mit minderjährigen Kindern sowie unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen höchstens drei Jahre betragen. Wer diese Anforderungen erfülle, sollte eine Aufenthaltserlaubnis und eine Arbeitsberechtigung erhalten. Die neue Regelung müsse grundsätzlich alle Herkunftsländer und Flüchtlingsgruppen umfassen, verlangte der Caritasverband.

Auch die Dauer des Flughafenverfahrens sollte überprüft werden. Im November haben sowohl der Bundesinnenminister als auch die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung die Unterbringungssituation auf dem Frankfurter Rhein-Main-Flughafen heftig kritisiert. Eine Arbeitsgruppe sollte eingesetzt werden. Doch jetzt sind sogar weitere Verschärfungen geplant. Künftig ist vorgesehen, auch unter 16jährige am Frankfurter Flughafen zu internieren. Die Zahl der Menschen, die sich nach Ablehnung ihres Asylantrags noch monatelang im Flughafentransit in Abschiebungshaft aufhalten müssen, weil eine Abschiebungsmöglichkeit nicht besteht, ist nicht zurückgegangen.

Die Situation in deutschen Abschiebungshaftanstalten ist nach wie vor menschenunwürdig. Noch immer werden Menschen monatelang inhaftiert, ohne daß sie eine Straftat begangen haben. Die Zahl der Verzweiflungstaten, wie Suizidversuche und Hungerstreiks ist weiterhin groß. Eine Initiative der Bundesjustizministerin oder des Innenministers, die Situation zu thematisieren, ist nicht bekanntgeworden.

»Nimmt man den Koalitionsvertrag als Maßstab der bisherigen Regierungspolitik, dann muß man alles in von einer asylpolitischen Negativbilanz nach einem Jahr Rot- Grün sprechen«, urteilte Kauffmann. Statt den Wählerauftrag für einen Politikwechsel anzunehmen, führe die Regierung auch im Bereich des Asylrechts weitgehend die harte Linie der Ära Kohl/Kanther fort. »Insbesondere Innenminister Schily setzt ganz offensichtlich auf die Kontinuität einer Politik der Abwehr, der Ausgrenzung und der Kriminalisierung«, sagte Kauffmann.

(jW)