Frankfurter Rundschau 1.10.1999

"Baba" soll im Amt bleiben

Präsident Demirel gefällt Volk und Militär der Türkei

Von Gerd Höhler

Im Mai 2000 muss der türkische Staatspräsident Süleyman Demirel seinen Hut nehmen. So sieht es die Verfassung vor. Doch nicht zuletzt die Militärs sähen es gerne, wenn Demirel im Amt bliebe.

Für viele Türken ist "Baba" Demirel, wie er oft genannt wird, eine Vaterfigur. Geliebt wird er vor allem dank seiner Bodenständigkeit, bewundert wegen seiner rhetorischen Talente. Als siebenmaliger Regierungschef und, seit 1993, Staatspräsident hat Demirel das politische Leben seines Landes wohl stärker geprägt als irgendjemand sonst in den zurückliegenden drei Jahrzehnten. Mitte nächsten Jahres muss der 74-jährige Baba in Pension gehen. Denn dann läuft seine siebenjährige Amtszeit als Staatschef ab. Eine Wiederwahl ist laut Verfassung nicht möglich.

Ein geeigneter Nachfolger ist allerdings weit und breit nicht in Sicht. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im derzeitigen Parlament, das den Staatschef wählen muss, könnte die Präsidentenkür zu einer frustrierenden Prozedur werden. Mit Grausen erinnert man sich an das Jahr 1980: sechs Monate lang versuchten die Volksvertreter damals in mehr als 150 Wahlgängen vergeblich, einen Präsidenten zu wählen. Dann riss den Militärs der Geduldsfaden. Die Generäle putschten, setzten die Regierung ab und lösten das Parlament kurzerhand auf. Wollte der türkische Generalstabschef Hüseyin Kivrikoglu an jene Tage erinnern, als er kürzlich erklärte, die bevorstehende Präsidentenwahl sei "sehr wichtig für die Türkei"?

Wenigen dürfte der letzte Staatsstreich noch so in den Knochen stecken wie Demirel, denn er war es, den die Generäle damals aus dem Amt jagten. Überhaupt hat Demirel reichlich Erfahrungen mit den Militärs. 1960 verlor der "König der Staudämme" wegen eines Umsturzes der Armee seinen damaligen Job als Generaldirektor der staatlichen Wasserwerke, 1971 kostete ihn ein Obristenputsch sein Amt als Ministerpräsident.

Diesmal allerdings scheint es, als könnten sich die Generäle von Demirel gar nicht trennen. In den vergangenen sechs, innenpolitisch oftmals turbulenten Jahren war er als Staatspräsident ein Faktor der Stabilität. Geschickt verstand es Demirel, die immer wieder hochgehenden Wogen zu glätten und die Parteienkonflikte auszubalancieren. Vor allem aber erwies er sich als treuer Erfüllungsgehilfe der Militärs bei deren unermüdlichem Feldzug gegen den islamischen Fundamentalismus, ein Kampf, der "wenn nötig tausend Jahre weitergeführt" werde, wie Generalstabschef Kivrikoglu jetzt erklärte. Den Machtanspruch der Generäle in Frage zu stellen, das würde Demirel wohl nie einfallen.

Wenn nun die türkischen Parteiführer erwägen, mittels einer Verfassungsänderung Demirel eine Verlängerung seiner Amtszeit um etwa drei Jahre zu ermöglichen, dann dürfte das bei den Militärs Beifall finden. Die Vorsitzenden der drei Koalitionsparteien haben sich bereits für eine solche Lösung ausgesprochen. Selbst die oppositionellen Islamisten scheinen bereit mitzuziehen. Vor allem Ministerpräsident Bülent Ecevit möchte seinen einstigen Erzrivalen Demirel im Amt halten, um die politischen Turbulenzen einer möglicherweise gescheiterten Präsidentenwahl zu umgehen. Ecevit selbst hat ohnehin keine Ambitionen auf das höchste Staatsamt. Dazu fehlt ihm der in der Verfassung vorgeschriebene Universitätsabschluß.