Frankfurter Rundschau 30.8.1999

Trotz des Erdbebens schieben deutsche Behörden weiter Türken ab

Nach acht Jahren muss ein junger Kurde, der in Istanbul den Kriegsdienst verweigern will, die Bundesrepublik verlassen

Von Eckhard Stengel (Bremen)

Die Bundesrepublik hilft zwar Erdbebenopfern in der Türkei finanziell und hat Besuche bei Angehörigen in Deutschland erleichtert - aber Abschiebungen nach Istanbul gehen fast unvermindert weiter. Zuletzt traf es einen 18-jährigen Kurden, der acht Jahre lang im Raum Bremen gelebt hatte.

Jede Woche startet derzeit in Düsseldorf eine amtlich gecharterte Maschine, die abgelehnte Asylbewerber und ausgewiesene Straftäter aus den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen ins teilweise zerstörte Istanbul bringt. Das bestätigte jetzt das Innenministerium in Hannover.

Andere Bundesländer gingen ähnlich vor, sagte Ministerialrat Paul Middelbeck der FR. Lediglich Familien, die aus den unmittelbaren Erdbebengebieten stammen, dürfen laut Middelbeck vorerst in Deutschland bleiben. Bei allen anderen Abzuschiebenden gebe es dagegen keine Einschränkungen, denn "die Türkei besteht ja nicht nur aus zerstörten Gebieten". Daher sieht Middelbeck auch kein Hindernis für Abschiebungen darin, dass bundesdeutsche Asylrichter oft Flüchtlinge aus den kurdischen Gebieten mit der Begründung zurückweisen, sie hätten ja zumindest "innerstaatliche Fluchtalternativen" in der Westtürkei - also auch dorthin, wo in den vergangenen Wochen teilweise das Erdbeben die Städte zerstörte.

Auch das Bundesinnenministerium hat keine Probleme damit, dass die Länder fast unvermindert weiter abschieben: Das bevorzugte Ziel Istanbul sei ja noch "weitgehend intakt", sagte ein Sprecher. Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen jedoch wollen zumindest künftig lieber die erdbebenverschonte Stadt Adana an der Südküste ansteuern.

Der Flug von Düsseldorf aus führte in der vergangenen Woche mit 34 unfreiwilligen Passagieren noch nach Istanbul. An Bord saß auch der 18-jährige G. aus Lilienthal bei Bremen. Seine Eltern hatten ihn mit zehn Jahren gemeinsam mit seinem Bruder zu einem hier lebenden Onkel geschickt, nach ihren Angaben, um die Kinder vor staatlichen Übergriffen auf die kurdische Familie zu schützen. Sein Asylantrag wurde jedoch rechtskräftig abgelehnt, und nachdem G. volljährig geworden war, verfügte der Landkreis Osterholz schließlich seine Abschiebung.

Der Hinweis, dass er in der Türkei den Wehrdienst verweigern wolle, um nicht womöglich auf Kurden schießen zu müssen, half G. nicht. Und dass er deshalb bestimmt verhaftet werde, da die Türkei Kriegsdienstverweigerung nicht erlaubt. Das zuständige Verwaltungsgericht Stade vertrat dazu die Ansicht, Kriegsdienstweigerung sei kein international verbürgtes Recht, und wenn G. dafür bestraft werde, sei das mithin keine politische Verfolgung.

Die Stader Verwaltungsrichter störten sich auch nicht daran, dass der nach islamischem Recht mit einer Türkin verheiratete G. angeblich von seiner Familie - wegen des Scheiterns der Ehe und wegen mehrerer Vorstrafen - verstoßen wurde und dass er deshalb in der Türkei Rache befürchte: Das sei keine staatliche Verfolgung und daher ebenfalls kein Asylgrund. Erfolglos blieben zugleich auch Mahnwachen von Freunden des Asylsuchenden und Proteste des Internationalen Menschenrechtsvereins Bremen, ebenso ein Hungerstreik von G. Aus Istanbul meldete sich der Abgeschobene mittlerweile bei seinem Asylbetreuer Süleyman Boybeyi. "Es geht ihm beschissen", berichtet der Sozialpädagoge. G. habe ihm gesagt: "Ihr habt mich zur Hölle geschickt."