Frankfurter Rndschau 28.8.1999

Ecevit verspricht Obdachlosen 50 000 Wohnungen

Erdbebenopfer in der Türkei reagieren skeptisch / Sendeverbot für kritische Fernsehstation

öhl ATHEN, 27. August. Eineinhalb Wochen nach dem Erdbeben hat der türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit den Opfern rasche Hilfe versprochen: Innerhalb der nächsten zwei Monate werde man bis zu 50 000 provisorische Unterkünfte aufstellen, und binnen 18 Monaten sollen die eingestürzten Wohnblocks wieder aufgebaut sein. Doch solche Ankündigungen stoßen auf Unglauben.

"Wir haben kein Vertrauen", lautete die Schlagzeile des Istanbuler Massenblatts Radikal. Ecevit wiederum findet die Berichte der Medien über die Versäumnisse bei den Bergungsarbeiten "übertrieben" und "demoralisierend".

Hohe Wellen schlägt auch das gegen die Fernsehstation Kanal 6 verhängte einwöchige Sendeverbot, mit dem die staatliche Aufsichtsbehörde die Kritik des Senders an der Regierung ahnden will. "Ihr müsst uns alle zum Schweigen bringen", lautete die Schlagzeile der Zeitung Milliyet, gerichtet an die Politiker in Ankara.

Auf Skepsis stoßen vor allem deren Pläne, den Wiederaufbau mit höheren Steuern und einer Sonderabgabe auf Mobilfunk-Gebühren zu finanzieren. Nach der massiven Kritik von Opposition, Wirtschaft und Medien lässt die Regierung dieses Vorhaben laut Agenturen vorerst ruhen; sie will das Thema aber im Oktober wieder aufgreifen.

Auch der Rote Halbmond steht in der Kritik. Dass die Manager der türkischen Hilfsorganisation zwar hochherrschaftliche Verwaltungsgebäude hochziehen ließen, aber keine wasserdichten Zelte beschafften, interessiert mittlerweile auch die Staatsanwaltschaft, die wegen möglicherweise missbräuchlicher Verwendung von Spendengeld ermittelt.

Die Zeitungen veröffentlichen fast täglich Listen mit den Namen "schuldiger" Bauunternehmer. "Mehr oder weniger alle Gebäude, die eingestürzt sind, waren mit ungeeigneten Materialien gebaut", sagt Kadem Karaagac, Generalsekretär der Istanbuler Städteplaner-Vereinigung. Viele Bauunternehmer sind untergetaucht. Doch wie sie zu belangen sind, steht ohnehin in den Sternen. Nachdem die Behörden die eingestürzten Gebäude einebnen ließen, ohne dass sie Sachverständigen zunächst untersuchen konnten, gibt es kaum noch handfestes Beweismaterial.