HANDELSBLATT, 28.8.1999

Wieder Nachbeben in der Türkei - Diskussion um Aufräumarbeiten

Experten: Beweise gegen fahrlässige Bauherren sollten nicht durch zu schnellen Abbruch vernichtet werden

dpa ISTANBUL. Elf Tage nach dem verheerenden Erdbeben in der Westtürkei ist eine Kontroverse über die Aufräumarbeiten entbrannt. Türkische Bau- und Rechtsexperten sprachen sich dagegen aus, die Trümmer der von dem verheerenden Erdbeben zerstörten Häuser zu schnell zu beseitigen, berichtete die Zeitung "Turkish Daily News" am Freitag. So könnten Beweise gegen fahrlässige Bauherren vernichtet werden. Zunächst müssten Experten die Schäden begutachten. Andernfalls sei es schwer, Ansprüche auf Schadenersatz geltend machen.

Da es keine Hoffnung mehr auf weitere Überlebende mehr gibt, konzentrieren die Helfer ihre Anstrengungen nun darauf, die Obdachlosen mit Zelten und Nahrungsmitteln zu versorgen und die Trümmer wegzuräumen.

Die Erde im Katastrophengebiet kommt unterdessen nicht zur Ruhe. In der Nacht zum Freitag wurden unter anderem in Adapazari und Izmit acht Nachbeben registriert. Sie erreichten Stärken von bis zu 4,1 auf der Richterskala, teilte das Krisenzentrum in Ankara mit. Gewitter und heftige Regenfälle haben unterdessen die Situation der Menschen weiter verschlechtert. Noch immer harren Hunderttausende in Zelten und unter Plastikplanen aus. Die Temperaturen fielen in der Nacht mancherorts auf zehn Grad. Aussicht auf besseres Wetter gab es nicht.

In Izmit wurden mehr als 50 Menschen gefasst, die verlassene Wohnungen plündern wollten, berichtete die Nachrichtenagentur Anadolu. Nach jüngsten Angaben des Krisenstabes in Ankara wurden bei der Katastrophe 13 040 Tote registriert. 26 630 Menschen wurden verletzt. 621 Menschen konnten lebend aus den Trümmern gerettet werden.

Für die Hinterbliebenen und Obdachlosen kamen am Donnerstagabend bei einer ZDF-Spendengala mehr als 13 Mill. DM zusammen. Rund 60 000 Zuschauer hätten sich während und nach der Sendung "Wir wollen helfen" telefonisch, per Fax oder via Internet zu Spenden verpüflichtet, teilte das ZDF mit. Das Geld soll dem Deutschen Caritas-Verband und dem Diakonischen Werk übergeben werden. Dagegen können die von der Europäischen Investitionsbank zugesagten 1,5 Mrd. DM wegen eines fehlenden Finanzprotokolls zwischen der EU und der Türkei nicht ausgezahlt werden.

Die ersten Erdbebenopfer erhielten eine Sondergenehmigung für den Flug nach Deutschland. Unterdessen wuchs die Kritik an der staatlichen Hilfe in der Türkei. Der türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit bemängelte dagegen die kritische Berichterstattung einzelner Medien über das Erdbeben. Negative Berichte führten zu einem schlechten Image der Türkei im Ausland. Er räumte aber auch Versäumnisse der türkischen Regierung ein.