Süddeutsche Zeitung 28.8.1999

Friede auf Widerruf

Die PKK schwankt zwischen Politik und Gewalt

Von Gottfried Stein

Brüssel, 27. August - Zumindest für die Tourismusbranche kommt die Entwarnung reichlich spät: "Kein Urlauber braucht mehr Angst vor Anschlägen in der Türkei zu haben", sagt Hasan Atmaca, einer der drei Europaführer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Treffpunkt ist das Büro des "kurdischen Exilparlaments" in der vornehmen Avenue Louise in Brüssel, und Atmaca versucht, die Läuterung der PKK von der Untergrundarmee zur politischen Bewegung zu konkretisieren. Nach 15 Jahren Bürgerkrieg strecke die PKK auf Geheiß ihres inhaftierten und zum Tode verurteilten Führers Abdulah Öcalan die Waffen - "diesmal endgültig", versichert Atmaca. "Wir wollen den Krieg beenden und uns auf eine politische Lösung konzentrieren."

Anders als bei halbherzigen Waffenstillständen früherer Jahre wolle die PKK mit einem Strategiewechsel den Zugang zur politischen Bühne erzwingen. Der Friedenswille der Europaführung sei ernst gemeint und er werde auch von dem siebenköpfigen Führungsrat gedeckt, der im Nordirak die "Amtsgeschäfte" Öcalans ausübt.

Nicht mit Waffen, sondern mit Argumenten wolle die PKK soziale, politische und wirtschaftliche Reformen für die Kurden erstreiten. Aber die Sache hat einen Haken - es ist ein Friede auf Widerruf: "Wenn die Türkei das Todesurteil gegen Öcalan vollstreckt, werden wir den Krieg mit aller Härte wieder aufnehmen und fortsetzen." Dann wäre auch die Entwarnung für die Touristen obsolet, und vermutlich auch der angekündigte Friede in Deutschland.

"Wir halten uns künftig strikt an die deutschen Gesetze", verspricht Atmaca, für den frühere Ausschreitungen und Krawalle hitziger PKK-Sympathisanten "verständliche Überreaktionen" waren. Auch die zahlreichen Spendengelderpressungen und Zwangsrekrutierungen junger Kurden für die PKK seien "bedauerliche Einzelfälle" gewesen. "Wir werden unsere Aktivitäten in Deutschland wie bisher fortsetzen", bekräftigt Atmaca.

Ein konkretes Angebot an die deutschen Behörden, die eine Aufhebung des PKK-Verbotes erleichtern würden, hat Atmaca allerdings nicht zu bieten, außer der Zusage, im Falle eines wirklichen Friedens "die Guerillastrukturen aufzulösen". Der Schlüssel zum Frieden liege freilich in den Händen der türkischen Regierung. Aber dem Friedenswillen in Ankara traue die PKK trotz des jetzt verabschiedeten Amnestiegesetzes nicht. "Wir setzen ganz auf die Hilfe der Europäer. Sie müssen mit am Tisch sitzen", fordert Atmaca.

Impulse für die Demokratie

Nach den Vorstellungen der PKK soll "die Bundesrepublik eine aktive Vermittlungsrolle" übernehmen. Nach jahrelangen wütenden Forderungen an Deutschland, die Türkei zu boykottieren und zu isolieren, begrüßt die PKK erstmals sogar die Aufnahme der Türkei in die EU, weil sie sich dadurch "Impulse für den Demokratisierungsprozess in der Türkei" erhofft. Daran geknüpft ist die Erwartung, dass die kurdische Frage auf allen politischen Ebenen der Vereinten Nationen und der EU diskutiert werde. Konkrete Erwartungen an die Europäer hat die PKK nicht. "Wir erwarten nicht, dass sich die Europäer wie im Kosovo oder in Bosnien übertrieben einmischen. Aber wir erwarten, dass sie sich ernsthaft um eine Lösung des Problems bemühen."

Allerdings hat auch Atmaca nur vage Vorstellungen, wie eine Lösung aussehen könnte. "Wir haben nicht 15 Jahre umsonst gekämpft und erwarten selbstverständlich von der Türkei, den Kurden soziale, politische und wirtschaftliche Rechte einzuräumen." Aber wenn die Türkei fortfahre, "unser Volk zu vernichten", schränkt er ein, dann "wissen wir uns zu verteidigen". Damit steht die Wandlung der PKK zur wirklichen politischen Kraft also auch für die Zukunft unter einem Gewaltvorbehalt.