taz, 27.8.1999

Raus aus deutschen Haftanstalten und rein in ausländische Knäste

Ausländer sollen auch gegen ihren Willen Haft im Heimatstaat verbüßen. Bundesregierung will im Herbst Gesetz unterzeichnen

Berlin (taz) - "Kriminelle Ausländer raus - und zwar schnell!" Bis heute weiß niemand so genau, wen und was Gerhard Schröder vor einem Jahr eigentlich gemeint hat mit seinem markigen Spruch. Er war so flott wie folgenlos - Stimmungsmache im Bundestagswahlkampf eben.

Etwas präziser ist nun der hessische Justizminister Christean Wagner. Er fordert: Ausländische Strafgefangene raus aus deutschen Haftanstalten und ab in die heimatlichen Knäste. Ein Hilferuf. Denn Hessens Knäste platzen aus allen Nähten. Die 5.800 Haftplätze sind mit 6.300 Gefangenen belegt, knapp 40 Prozent sind Ausländer. "Unter diesen Bedingungen ist keine sinnvolle Betreuung der Häftlinge mehr möglich", klagt Justizsprecher Martin W. Huff.

Etwas Linderung, so die Hoffnung Wagners, könnte die Umsetzung eines Abkommens des Europarates schaffen, das am 18. Dezember 1997 von 14 Mitgliedstaaten, darunter die Bundesrepublik, verabschiedet wurde. Es eröffnet die Möglichkeit, dass ausländische Straftäter auch gegen ihren Willen Haftstrafen in einem Gefängnis ihres Heimatstaates verbüßen müssen. Zuvor war dies nur möglich, wenn der Gefangene zustimmte. In Deutschland verurteilte Ausländer verspürten in der Vergangenheit selten Lust, in einen heimatlichen Knast umzuziehen. Kein Wunder, gilt der bundesdeutsche Strafvollzug im internationalen Vergleich doch als recht human. Pferdefuß der Neuregelung des Europarates: Sie wurde bis heute nur von Makedonien ratifiziert. Das soll sich nun ändern. In einem bislang unbeantworteten Schreiben forderte der hessische Justizminister die Bundesministerin Herta Däubler-Gmelin kürzlich auf, das Abkommen schnellstmöglich zu ratifizieren.

Wie aus Kreisen des Bundesjustizministeriums zu erfahren war, hat die Bundesregierung genau dies vor. Sie will den Vertragstext nach der Sommerpause in den Bundestag einbringen und ratifizieren. Denn nicht nur Hessen übt Druck auf Däubler-Gmelin aus. Auch in den anderen Bundesländern sind die Haftanstalten dramatisch überbelegt.

In nur drei Jahren stieg die Zahl der Inhaftierten um rund 30 Prozent - trotz weitgehend stabiler Kriminalitätsrate. Über die Gründe des plötzlichen Gefangenenbooms rätseln die Experten. "Noch Anfang der Neunzigerjahre gingen alle Prognosen von einem Rückgang der Zahl der Strafgefangenen aus", sagt Werner Greve, stellvertretender Direktor des Kriminologischen Instituts in Hannover. Gleichzeitig beobachtet Greve allerdings eine zunehmende Strafhärte der Richter. Auch die Bereitschaft zur vorzeitigen Haftentlassung habe drastisch abgenommen. Und mehr Ersatzfreiheitsstrafen mündeten in Haft, da die Verurteilten die hohen Tagessätze nicht mehr bezahlen können. Eine weitere Ursache sieht Greve darin, dass Richter unterschiedliche Ethnien anders behandeln. Leittragende dieser Entwicklung sind neben den Häftlingen vor allem die Beschäftigten im Strafvollzug. Denn der Personalschlüssel wurde dem größeren Arbeitsanfall nicht angepasst.

Allerdings wird auch die Neuregelung an der Überbelegung der Haftanstalten nur wenig ändern. Justizsprecher Huff geht für Hessen von einer Entlastung von gerade einmal 80 bis 150 Personen aus, sollte das Europaratsabkommen endlich in Kraft treten - so lange die Staaten, in die straffällige Ausländer "abgeschoben" werden sollen, das Abkommen nicht unterzeichnen und ratifizieren. Und selbst wenn zum Beispiel die Türkei das Gesetz unterzeichnen würde, bliebe der gewünschte Effekt gering. Denn an eine "Abschiebung" von Ausländern mit einer unbefristeten Aufenthaltsberechtigung denkt auch die CDU-Regierung in Hessen nicht, und die meisten Deutsch-Türken haben genau diese.

Auch ohne den "Abschiebeschutz" unbefristete Aufenthaltsberechtigung lehnt das Mitglied des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, Christian Ströbele (Grüne), die neue gesetzliche Regelung ab. "Ich halte es für problematisch, jemand gegen seinen Willen im Ausland in die Haft zu zwingen. Das widerspricht im Übrigen auch der bisherigen Praxis, dass im Ausland verbüßte Haft und U-Haft doppelt bis dreifach angerechnet wird, weil sie dort belastender ist."

Amnesty international hat gegen die Neuregelung nichts Grundlegendes einzuwenden, so lange sie nur Straftäter betrifft und keine Menschenrechtsverletzungen drohen.

Eberhard Seidel