Der Patriot, 26.8.1999

Noch Lebenszeichen unter Erdbeben-Trümmern

- Opferzahlen in Izmit von städtischem Angestellten gefälscht

Mehr als eine Woche nach dem Erdbeben in der Türkei hat ein deutsches Rettungsteam unter Trümmern Lebenszeichen von Kindern ausgemacht. Unter dem Schutt in der Stadt Cinarcik am Marmara-Meer würden noch vier Kinder vermutet, meldete die Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf den Leiter des deutschen Teams, Roland Schoth. Erschwert wurden die Rettungsarbeiten durch strömenden Regen. Nach einer Zwischenbilanz vom Mittwoch wurden bis dahin rund 12.500 Todesopfer geborgen. Am Vortag war noch von annähernd 18.000 Toten die Rede gewesen. Ein Stadt-Angestellter in Izmit hatte die Opferzahlen erhöht, um größere Hilfsleistungen zu erhalten.

Die Suche nach den vier vermeintlich noch lebenden Kindern in Cinarcik hatte am Montag begonnen, nachdem mehrere Dorfbewohner ein bulgarisches Rettungsteam auf Geräusche unter dem Trümmerberg aufmerksam gemacht hatte. Am Dienstag schalteten sich dann 13 deutsche Retter ein. Schoth zufolge stießen auch ihre Hunde auf Lebenszeichen. Geborgen wurde zunächst allerdings nur die Leiche einer alten Frau. Am Mittwoch lief die Suche nach den vier Kindern weiter. In Cinarcik hatten israelische und türkische Retter am Montag den bislang letzten Überlebenden aus den Trümmern gezogen, einen fünfjährigen Jungen.

Das nationale Krisenzentrum der Regierung korrigierte die Zahl der Verletzten von 42.400 auf 27.200. Aus Regierungskreisen hieß es, in der am schlimmsten betroffenen Region Izmit-Kocaeli seien bei den Zählungen mehrere Fehler begangen worden. Inzwischen seien Ermittlungen gegen einen Angestellten der Stadt Izmit eingeleitet worden. Die drastisch nach unten gesenkte Opferzahl weckte Zweifel an der Verlässlichkeit der offiziellen Zahlen. Die Vereinten Nationen gingen kürzlich von bis zu 40.000 Toten aus. Zehntausende werden noch unter den Trümmern vermutet.

Die Hoffnung, nach acht Tagen noch Überlebende zu finden, sind äußerst gering. Wegen der zahlreichen noch nicht begrabenen Toten und der schlechten sanitären Bedingungen bestand weiterhin hohe Seuchengefahr.

(AFP)