Süddeutsche Zeitung 25.8.1999

IM PROFIL: Osman Durmus Gesundheitsminister der Türkei und Nationalist

In den ersten 48 Stunden nach dem verheerenden Erdbeben von Izmit verhielt sich der Gesundheitsminister der türkischen Republik auch nicht anders als die meisten seiner Kabinettskollegen in Ankara: mucksmäuschenstill, unauffällig und vor allem untätig. Mittlerweile hat Osman Durmus wenigstens seine Sprache wiedergefunden, aber so ganz glücklich dürfte er über seine Worte inzwischen nicht mehr sein.

Das Volk schäumt über den Mann, der im Angesicht der Katastrophe selbstherrlich ausländische Hilfe im Allgemeinen und griechische Blutspenden im Besonderen ablehnte. Sogar der gemeinhin als ruhig und ausgesucht höflich geltende Regierungschef Bülent Ecevit soll aus der Haut gefahren und ihn angeschrieen haben. "Halt das Maul", zitierte die Zeitung Hürriyet in Balkenlettern auf der Titelseite den Premierminister.

Dass er einmal Gesundheitsminister werden würde, hätte der 52-jährige Arzt aus dem mittelanatolischen Städtchen Cankiri wahrscheinlich selbst nie für möglich gehalten. Bei den Wahlen im April wurde er auf der Welle des überraschenden Erfolges der "Partei der nationalistischen Bewegung" (MHP) ins Parlament gespült. Wohl wegen seiner medizinischen Vergangenheit nominierte ihn Parteichef Devlet Bahceli als Gesundheitsminister, wobei Durmus schon lange nicht mehr als Arzt praktiziert hatte.

Doch anders als Bahceli, der seit seinem Aufstieg zu Regierungswürden die Rolle des wohlerzogenen bürgerlichen Politikers spielt, verkörpert Durmus eher die dumpfe Blut-und-Boden-Ideologie des türkischen Faschismus. Für seine Anhänger war Blut schon immer ein ganz besonderer Saft. Deshalb nimmt es nicht wunder, wenn der Erz-Nationalist als oberster Gesundheitswächter der Nation eine Vermischung türkischen Blutes mit Blutkonserven des griechischen Erzfeindes zu verhindern trachtet.

Schon zuvor in seiner kurzen Amtszeit hatte sich Durmus Sorgen um das Türkenblut gemacht. Erst vor Kurzem goss er Kübel verbalen Unrats über einem Arzt aus, der eine private Blutbank für Leukämie-Kranke organisiert und Blutproben türkischer Patienten zur Analyse ins Ausland geschickt hatte. Durmus witterte alsbald Verrat nicht nur an der Nation, sondern am Türkentum schlechthin. Zunächst warf er dem Mediziner vor, mit dem heiligen Lebenssaft der Türken schmutzige Geschäfte zu machen, dann beschlich den Minister ein noch schrecklicherer Verdacht: Ausländische Geheimdienste und Feinde der Türkei könnten die Proben dazu benutzen, um die geheime genetische Struktur des türkischen Blutes zu knacken und zu verändern - zum Nachteil von Volk und Nation.

Doch diesmal scheint der Gesundheitsminister zu weit gegangen zu sein. Das Volk verlangt seinen Rücktritt. Es ist nicht auszuschließen, dass der unter dem Sturm der Kritik wankende Staatsapparat Durmus als verzichtbaren Sündenbock opfert. Der bat sich unterdessen eine Gnadenfrist aus: "Es kann schon sein, dass ich nicht alles weiß", gestand er ein. "Aber wartet erst einmal 15 Tage ab. Wenn ich dann noch im Unrecht bin, könnt ihr mich ja immer noch verprügeln."
Wolfgang Koydl