taz, 24.8.1999

Türkei: Die Erdbebenkatastrophe und die ineffektive Hilfe

Zu spät, zu wenig

Seit dem schweren Erdbeben in der Türkei wird in den Medien im Lande und international eine Welle der Hilfsbereitschaft zelebriert. Stolz wird über den Einsatz von Hilfsorganisationen berichtet, die Rückkehr der Helden wird gefeiert. Fast scheint es, als sei die ganze Welt seit Tagen bei den Rettungsaktionen im Einsatz. Stolz und dankbar berichtet Hürriyet gestern, dass sich Rettungsmannschaften aus Japan, Kanada, Deutschland und Amerika angekündigt haben.

Doch deren Hilfe wird für Tausende, die immer noch, teilweise lebend, unter den Trümmern begraben liegen, zu spät kommen. Bereits am Freitag, drei Tage nach dem Beben, war von 40.000 möglichen Todesopfern die Rede. Die tatsächliche Zahl der geborgenen Leichen lag zu diesem Zeitpunkt bei 6.000. Das heißt: 34.000 zum Teil noch lebende Menschen waren schon für tot erklärt. Es gibt kaum noch Hoffnung auf Überlebende, heißt es anstelle von: Es gibt noch Hoffnung auf Überlebende.

Wie ist das erklärbar, wenn die ganze Welt am Unglücksort hilft und rettet? Beinahe scheint es so, als ob die Rettungmannschaften diverser Länder geduldig darauf warten, dass sich die höchste mögliche Opfer-Zahl bestätigt, bevor sie ihrem Nato-Partner zu Hilfe eilen. Bis dahin wird lang und breit über das Versagen der türkischen Regierung berichtet. Irgendwie selber schuld, sozusagen.

Natürlich trägt die türkische Regierung große Schuld am Ausmaß der Katastrophe. Die Koordination der Hilfstruppen ist chaotisch, die Aufräumarbeiten verlaufen mehr als lahm, weil tagelang sage und schreibe nur drei Bagger im Einsatz waren. So zeigt sich wieder einmal, dass autoritär strukturierte Gesellschaften, in denen die Zivilgesellschaft nur schwach ausgebildet ist, kaum in der Lage sind, flexibel auf Unvorhergesehenes zu reagieren.

Die Bundesregierung will helfen. Doch die zugesagte Hilfe von bislang drei Millionen Mark reicht nicht aus. Angesichts der Tatsache, dass in Deutschland mehr als zwei Millionen TürkInnen leben, ist dieser Betrag sogar lächerlich. Von der neuen Moral in der Außenpolitik, die Rot-Grün so gern für sich reklamiert, ist in diesem Fall nichts zu spüren.

Natürlich steht Außenminister Joschka Fischer im ständigen Kontakt mit der türkischen Seite. Man werde auch weiterhin "Wünsche sehr wohlwollend prüfen", ließ er gestern verlauten. Wie nett. Wohlwollend. Gäbe es denn eine andere Möglichkeit, Herr Fischer?

Songül Çetinkaya