taz, 23.8.1999

Türkische Medienschau

Das Jahrhunderterdbeben in der Nordwesttürkei und die unbeschreiblichen Dramen der Betroffenen beschäftigen alle türkischen Medien.

Verrat - Elend So lautet die Schlagzeile bei Milliyet. "Schuld ist nicht das Erdbeben, schuld sind diejenigen (Bauunternehmer und Behörden), die die Bevölkerung verkauft und verraten haben. Die aus Deutschland gesandten 2.500 Zelte sind am Zoll hängen geblieben. Das Feuer in der größten Raffinerie ist zuerst verharmlost worden. [...] Der bekannte Bauunternehmer Göcer, der in der Gegend billige Häuser gebaut hat, ist untergetaucht. [...] Über 90 Prozent seiner Häuser sind zusammengebrochen. Im Hilfsfonds für die Erdbebenkatastrophe befindet sich sage und schreibe 1 Million Lira (umgerechnet 4 Mark). Der Staat ist total gelähmt und [...] schaut dabei [...] tatenlos zu, wie die Seuchengefahr wächst. Ausländischen Hilfstruppen werden nicht einmal Dolmetscher zur Verfügung gestellt. Und die reichste Provinz der Türkei, Kocaeli, hat sich als krankenhausarm entpuppt!"

Inferno Den Megabrand auf der größten Raffinerie des Landes macht Hürriyet zur Schlagzeile: "Die Löscharbeiten werden dadurch erschwert, dass der Strom abgestellt ist und nicht genügend Löschschaum vorhanden ist. Dass die eigenen Brandbekämpfungsmannschaften der Raffinerie nach dem Erdbeben abgehauen sind, kommt einem Mord gleich!"

Das Wrack auf unserem Gewissen heißt es im Leitartikel von Hürriyet: "Das Jahrhunderterdbeben hat auch die Menschengeografie einer Nation aufgedeckt: die der Landflucht, die das Verschwinden der ethnischen Mauern unter Beweis stellt. Eine Nation erklärt hier selbst die Generalmobilmachung, ohne auf ihre Regierung zu warten. Alle helfen mit bloßen Händen. Alle hören den Hilfeschreien aus den Betonsärgen zu. Wir fragen voller Zorn: Wo ist denn dieser Staat?"

Dieb - Mörder Auch Sabah kritisiert scharf die Bauunternehmer, die aus Profitgier mit zu wenig Zement und Stahl völlig unsichere Häuser bauen: "Die betroffenen Städte [...] haben jetzt schon die Arbeit aufgenommen, alle Bauunternehmer von zusammengebrochenen Häusern aufzulisten. Gegen diese werden anschließend Verfahren eingeleitet. Hier drohen Gefängnisstrafen bis zu 10 Jahren."

Danke schön, "Bild"! So bedankt sich Milliyet für die türkische Schlagzeile der Bild-Zeitung: "Arkadaslar Almanya acinizi pay lasiyor" - "Freunde, Deutschland teilt euer Leiden".