Jungle world, 18.8.1999

Punktsieg für Ecevit

Der Generalstreik in der Türkei fiel weitgehend aus. Die Regierung hat sich mit ihren Reformplänen durchgesetzt

Ein großer Generalstreik hätte es werden sollen: gegen die Anhebung des Rentenalters, aber auch gegen die zu bereitwillige Zusammenarbeit der Regierung von Bülent Ecevit mit dem Internationalen Währungsfonds. Doch der große Generalstreik am vergangenen Freitag geriet zu einer traurigen Posse. Zu der "großen" Kundgebung auf dem Kyzylayplatz in Ankara kam nicht einmal der Vorsitzende des größten gewerkschaftlichen Dachverbandes Türk-Is, Bayram Meral, der die Veranstaltung organisiert hatte. Dementsprechend durchschlagend war auch die Teilnahme an dem geplanten "Generalstreik". Nicht einmal Türk-Is schaffte es, auch nur die Mehrheit der ihr angeschlossenen Gewerkschaften zu einer kollektiven Arbeitsniederlegung zu bewegen. Selbst die türkischen Metaller, die am stärksten von den Privatisierungsplänen der Regierung betroffen sein werden, erschienen am Freitag brav am Arbeitsplatz. Kein Wunder also, daß der Unmut der an der Kundgebung in Ankara teilnehmenden Arbeiter sich weniger gegen die Regierung und die Unternehmer als gegen den Gewerkschafts-Dachverband Türk-Is selbst richtete. "Nieder mit den Feudalherren in der Gewerkschaft", wüteten demonstrierende Arbeiter vor dem Gebäude von Türk-Is, die sich zunehmend als reine Alibi-Gewerkschaft erweist. Und immer wieder hörte man den Slogan: "Die Denizers sind unsterblich, dieses Gesetz ist endlich." Der Generalsekretär von Türk-Is, Semsi Denizer, war vor gut einer Woche vor seinem Haus in seiner Heimatstadt Zonguldak erschossen worden. Denizer, der der Gewerkschaft der Bergbauarbeiter vorstand und innerhalb von Türk-Is der fortschrittlicher eingestellte Rivale von Bayram Meral war, unterlag Bülent Ecevit bei den Parlamentswahlen 1991 als Kandidat der sozialdemokratischen Volkspartei (CHP). Ecevit hatte die gewerkschaftlichen Tätigkeiten Denizers immer hoch geschätzt. In den vergangenen Wochen jedoch kam es zu Spannungen, denn der couragierte Gewerkschafter kritisierte scharf die durch den IWF induzierten Reformpläne der türkischen Regierung, deren Ministerpräsident vor seiner Amtseinsetzung ganz andere Ideale gepredigt hatte. Während die Gewerkschaft noch mit dem mißlungenen Streik beschäftigt war, stimmte das türkische Parlament den Rentenplänen zu - ebenso, wie es einige Tage zuvor schon eine Regierungsvorlage für Wirtschaftsreformen akzeptiert hatte. Kernstück dieses Gesetzes ist eine Verfassungsänderung, durch die künftig in Wirtschaftsfragen eine internationale Schlichtung zulässig ist und die Privatisierung von Staatsbetrieben erleichtert wird. Der IWF und die USA haben die Regierung von Ministerpräsident Bülent Ecevit zu der Verfassungsänderung gedrängt. Ecevit hofft, mit dem Gesetz die Kreditwürdigkeit der Türkei zu erhöhen und das Land für ausländische Investoren interessanter zu machen. Hintergrund ist ein bereits prinzipiell zugesagter IWF-Kredit in Höhe von 9,15 Milliarden Mark. Das Kreditabkommen soll noch im kommenden Herbst unterzeichnet werden. Weiter erhofft sich der türkische Staat mindestens vier Milliarden Dollar durch Privatisierungen im staatlichen Energiesektor. Größere Privatisierungsvorhaben sind in der Vergangenheit an in der Verfassung festgelegten Beschränkungen gescheitert. Die türkische Wirtschaft krankt an einer seit Jahren hohen Inflationsrate von gegenwärtig immer noch 50 Prozent und einer Staatsverschuldung in Höhe von 20 Milliarden Dollar. Kritiker bemängeln an den Reformen vor allem die drohenden Entlassungen in Sektoren wie Metall und Bergbau und die Anhebung des Rentenalters. Fatal bei Privatisierungsvorhaben in der Türkei ist, daß viele Regierungsbetriebe zwar tatsächlich völlig marode sind, die Arbeiter durch die betriebswirtschaftlich notwendigen Entlassungen bei der Privatisierung jedoch wegen der schlechten Tarifbedingungen und der hohen Inflationsrate in die sichere Armut entlassen werden. Denizer war 1992 vor allem deshalb zum Generalsekretär von Türk-Is gewählt worden, weil er im Vorjahr 47 000 Bergbauarbeiter von Zonguldak nach Ankara hatte marschieren lassen, um gegen die Reformpläne der damals die Regierungsgeschäfte führenden Mutterlandspartei zu demonstrieren. Der Mord an Denizer hatte kein politisches Motiv, war dennoch Anlaß für Spekulationen. Denn unter den derzeit desolaten Bedingungen einer notwendigerweise ineffizienten Organisation von rivalisierenden Gewerkschaftsverbänden glaubten viele, der Anschlag sei politisch motiviert. Denizer hatte zu den Kritikern der IWF-Reformvorschläge gehört, in Zonguldak rang er zudem mit der lokalen Kohlemafia. Die staatliche Kohlegesellschafft TTKK läßt in der Region auch private Firmen Kohlevorkommen ausbeuten, um sie zu festgesetzten Preisen an die TTKK zu verkaufen. Diese Praxis hat zu mafiotischen Entwicklungen geführt, denn die Kontingente für den Abbau sind heißbegehrt. Denizers Frau spekulierte nach dem Attentat, Rivalitäten innerhalb des Gewerkschaftsverbandes selbst hätten ihren Mann das Leben gekostet. Schon allein, daß diese Spekulation die Runde macht, sagt einiges über den Zustand der Gewerkschaftsbewegung in der Türkei aus.

Sabine Küper-Basgöl, Istanbul