taz, 20.8.1999

Flüchtlingskinder werden benachteiligt

In Deutschland haben laut einer Unicef-Studie minderjährige Flüchtlinge weniger Rechte als einheimische Kinder.
Das Kinderhilfswerk fordert die konsequente Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention

Von Eberhard Seidel

Berlin (taz) - "Kinder sind unsere Zukunft." Eine Phrase, die keinen Widerspruch duldet. Folglich bemühte sie auch der Regierende Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen (CDU), als er Anfang des Jahres Berlin zur Partnerstadt des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (Unicef) erklärte. Jener Organisation also, die vor zehn Jahren die UN-Kinderrechtskonvention verabschiedete und sich vor allem um die verwahrlosten und entrechteten Kinder der (dritten) Welt kümmert.

Aber wie steht es um die Rechte der Minderjährigen, wenn sie nicht als Straßenkinder in Lateinamerika oder Prostituierte in Asien, sondern als Flüchtlinge in Deutschland leben? Nicht zum Besten, so das Ergebnis der gestern in Berlin vorgestellten Unicef-Studie "Flüchtlingskinder in Deutschland". Viele der rund 220.000 minderjährigen Flüchtlinge in Deutschland müssen im Alltag vielerlei Benachteiligungen hinnehmen. In der Bildung und der Gesundheitsversorgung beispielsweise, fand der Autor der Studie, Steffen Angenendt, heraus.

Formaljuristisch, so der Vorsitzende der Unicef in Deutschland, Reinhard Schlagintweit, werde in Deutschland nicht gegen den Grundsatz der Kinderrechtskonvention, die Gleichbehandlung aller Kinder ungeachtet ihrer Herkunft und Nationalität fordert, verstoßen. Dies allerdings nur deshalb, weil die Regierung Helmut Kohl 1992 die Ratifizierung der Konvention unter den Vorbehalt gestellt hatte, dass sie weiterhin einschränkende ausländerrechtliche Bestimmungen erlassen kann. "Die damalige Regierung vertrat die Auffassung, dass die Schutzbedürftigkeit Minderjähriger nicht umstandslos für Ausländer und Flüchtlinge gelten sollte", beklagt Schlagintweit. Als Folge widersprächen viele Regelungen und die Verwaltungspraxis dem Ziel der Kinderrechtskonvention.

Der Unicef-Vorsitzende regte deshalb an, den Aufenthaltsstatus der jugendlichen Flüchtlinge zu verbessern. Viele von ihnen verfügten nur über eine Duldung, weshalb es in einigen Bundesländern Einschränkungen beim Schulbesuch gebe. Und eine Berufsausbildung scheitert meist an der Arbeitserlaubnis, die Flüchtlingen, die nach dem 15. Mai 1997 eingereist sind, generell nicht mehr erteilt wird. Besonders prekär sei die Lage der 5.000 bis 10.000 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. Beantragen sie Asyl, müssen sie das gleiche Verfahren durchlaufen wie die Erwachsenen, was sie häufig überfordert.

Um die Situation der Minderjährigen zu verbessern, fordert Unicef für sie zumindest eine befristete Aufenthaltsbefugnis. Gleichzeitig sollten Flüchtlinge im Asylverfahren erst ab 18 und nicht schon ab 16 Jahren wie Erwachsene behandelt werden.

Hauptforderung der Unicef an die Bundesregierung ist allerdings die Rücknahme der völkerrechtlich ohnehin umstrittenen Vorbehaltsklausel. Nur so lasse sich der Vorrang des Kindeswohls und der Gleichbehandlung aller Kinder gewährleisten.

Dazu gehört für die Kinderrechtsorganisation auch der Verzicht auf die Inhaftierung Jugendlicher vor der Abschiebung. 1998 saßen allein in Berlin, einer Stadt, die "sich besonders jungen Menschen öffnet" (Diepgen), rund 80 Minderjährige in Abschiebehaft.