Frankfurter Rundschau 20.8.1999

Helfer in Türkei finden immer mehr Todesopfer

Regierung befürchtet nun die Ausbreitung von Seuchen

Zwei Tage nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei ist die Zahl der geborgenen Toten auf mehr als 6300 gestiegen. Der Krisenstab in Ankara meldete bis zum frühen Donnerstag abend außerdem fast 30 000 Verletzte. Tausende Menschen werden noch vermisst. Premier Bülent Ecevit räumte Probleme bei der Koordination der Rettungseinsätze ein.

FRANKFURT A. M., 20. August (ap/rtr/ dpa/afp). "Lebensmittel, Unterkünfte und Medikamente für die Obdachlosen reichen nicht aus", sagte Ecevit. Die Helfer könnten noch nicht zu entlegenen Dörfern vordringen, da viele Straßen durch das Erdbeben zerstört seien. Am heutigen Freitag sollten Zeltstädte in den beiden am stärksten betroffenen Städten Izmit und Sakarya bezugsfertig sein. Ecevit warnte vor dem Ausbruch von Seuchen, sollten die Toten nicht bald beigesetzt werden.

Hunderttausende Überlebende verbrachten die zweite Nacht im Freien. Mehrere Nachbeben mit Stärken zwischen vier und 4,8 auf der Richterskala wurden registriert. In die Trauer der Überlebenden mischte sich zunehmende Wut über schleppende Hilfsmaßnahmen und die miserable Bauweise eingestürzter Häuser. In dem Badeort Yalova, in dem 350 Tote geborgen wurden, ist ein Bauunternehmer fast gelyncht worden. Für Empörung sorgte auch ein Zeitungsbericht, wonach Ankara ein israelisches Rettungsteam gebeten haben soll, zuerst verschüttete Soldaten auf einem Marinestützpunkt bei Izmit zu retten und sich erst danach um Zivilisten zu kümmern. Einzelne Personen nutzten die verzweifelte Lage aus und verlangten für einen Liter Wasser umgerechnet vier Mark.

Das Großfeuer in der Raffinerie von Izmit konnte bis zum Nachmittag eingedämmt werden. Allerdings brannten noch immer Tanks auf dem Gelände.

Erste Schätzungen gehen davon aus, dass der Wiederaufbau in der vom Erdbeben erschütterten Region mehr als 40 Milliarden Mark kosten wird. Die Weltbank hält für Hilfemaßnahmen nach eigenen Angaben 407 Millionen Mark bereit.

Die deutsche Regierung stockte ihre Hilfe auf drei Millionen Mark auf und bot Unterstützung durch Bundeswehrkräfte an, nachdem die Türkei sich an die Nato gewandt und eine Liste der dringlichsten Maßnahmen eingereicht hatte. Die Zahl der deutschen Erdbeben-Todesopfer stieg am Donnerstag auf sechs; mindestens vier weitere Deutsche wurden noch vermisst.