Frankfurter Rundschau 19.8.1999

Die Zahl der Erdbebenopfer steigt

Türkei meldete am Mittwoch bereits 3700 Tote / Retter im Wettlauf mit der Zeit

Das Ausmaß der Erdbebenkatastrophe in der Türkei ist noch weitaus größer als zunächst angenommen. Bis zum Mittwochnachmittag stieg die offiziell gemeldete Zahl der Toten nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu auf mehr als 3700. Mindestens 17 000 Menschen seien verletzt worden.

FRANKFURT A.M., 18. August (rtr/ap/ dpa/afp). In einem Wettlauf mit der Zeit setzten türkische und internationale Rettungsmannschaften am Mittwoch die Suche nach Verschütteten fort. Allein aus der am schwersten betroffenen Provinz Kocaeli wurden im Laufe des Tages fast 2000 Tote gemeldet. In der Provinzhauptstadt Izmit waren Hunderte Gebäude eingestürzt und hatten die Bewohner unter sich begraben. Das Beben in der Nacht zum Dienstag hatte die meisten Menschen in der dichtbesiedelten Region im Nordwesten der Türkei im Schlaf überrascht. Die Erdstöße hatten nach neuesten Berechnungen eine Stärke von 7,4 auf der Richter-Skala.

Suchmannschaften im rund 90 Kilometer von Istanbul entfernten Izmit und in anderen Orten gruben sich zum Teil mit bloßen Händen durch die Trümmer. Hilfsmannschaften aus dem Ausland trafen in dem Erdbebengebiet ein und suchten mit Spürhunden nach Überlebenden.

Die Region am Marmara-Meer wurde seit Dienstagmorgen von etwa 250 Nachbeben erschüttert. Viele Menschen hatten aus Angst vor weiteren Beben die Nacht im Freien verbracht. Am Morgen kehrten viele in ihre Wohnungen zurück, soweit sie nicht obdachlos geworden waren. Die Regierung in Ankara erklärte die Region zum Katastrophengebiet. Mit dem Beschluss sind Sondervollmachten und Ausnahmeregelungen verbunden, die rasche Hilfe ermöglichen sollen.

Eine Sprecherin des Berliner Auswärtigen Amtes teilte mit, unter den Toten seien auch zwei Deutsche; mindestens vier weitere würden noch unter den Trümmern vermisst. Angesichts der großen Zahl von Verletzten könne nicht ausgeschlossen werden, dass weitere Deutsche unmittelbar von dem Unglück betroffen seien. Die Getöteten und Verschütteten waren für deutsche Firmen und Organisationen in der Türkei tätig. Die Sprecherin betonte, dass in allen bekannten Fällen die Familien unterrichtet worden seien.

Auch am Mittwochnachmittag stand die größte Raffinerie der Türkei in Izmit noch lichterloh in Flammen. Das Feuer griff auf zwei weitere Treibstoffbehälter über. Der Vize-Gouverneur von Kocaeli, Kemal Karadag, erklärte dennoch, das Feuer sei weitgehend unter Kontrolle. Löschflugzeuge aus den USA und Israel waren im Einsatz. Auch aus Frankreich wurden weitere Flugzeuge zur Unterstützung der Löscharbeiten erwartet. Das Berliner Auswärtige Amt erklärte, es werde kein deutsches Löschflugzeug entsandt. Zuvor war befürchtet worden, die Öltanks der Raffinerie könnten explodieren. Anwohner wurden im weiten Umkreis evakuiert.

Ministerpräsident Bülent Ecevit erklärte zu den in der türkischen Presse erhobenen Vorwürfen, viele Menschen seien Opfer der in der Türkei weit verbreiteten Leichtbauweise geworden, den Baufirmen dürfe nicht alle Schuld angelastet werden. Die Nachrichtenagentur Anatolien zitierte Ecevit mit den Worten, es sei nicht die alleinige Schuld der Bauunternehmer. Allerdings stimme, dass diese Fehler gemacht hätten.

Unter den Bonner Telefonnummern 0228/174131 und 0228/174734 gibt das Auswärtige Amt Auskunft über die Situation deutscher Touristen in der Türkei. Türken in Deutschland könnten sich zudem an die türkische Botschaft und die Generalkonsulate wenden. Auch das DRK richtete unter 089/680773-0 eine zentrale Auskunftsstelle ein.