WoZ (Schweiz), 12.8.1999

«Ohne Hetze kein Hass»

Die türkische Filmemacherin Yesim Ustaoglu im Gespräch

Interview: Geri Krebs

WoZ: Verstehen Sie Ihren Film als Akt des Widerstands gegen ein totalitäres System?

Yesim Ustaoglu: Natürlich ist «Günese Yolculuk» (Reise zur Sonne) ein politischer Film, aber ich wehre mich dagegen, ihn auf das Politische zu reduzieren. Wenn man über die Verhältnisse in der Türkei spricht, besteht die Gefahr, dass immer alles nur politisch ist. Das finde ich nicht nur positiv. Mein Film ist im selben Mass politisch, wie er auch ein Film über Freundschaft, Identitätsprobleme, ein das Menschliche behandelnder Film ist.

Wie sehr herrscht in der Türkei ein Klima des Hasses zwischen Türken und Kurden, vergiftet durch die politische Situation?

Wie sehr ist dieser Konflikt etwas Künstliches, von aussen Kommendes? Von Hass würde ich in diesem Zusammenhang nicht sprechen, vielmehr von Distanz, denn das so genannte Kurdenproblem besteht nicht erst seit den letzten fünfzehn Jahren, seit der Krieg begonnen hat, sondern hier geht es um einen jahrhundertealten Konflikt. Klar, der Krieg hat viel zur Verschärfung beigetragen, viel wichtiger war aber noch die Gründung der türkischen Republik nach dem Ersten Weltkrieg, als die Ideologie kreiert wurde, es gebe nur eine einzige Ethnie - eben die türkische -, und seitdem alle anderen, nicht nur die kurdische, brutal unterdrückt werden.

In «Reise zur Sonne» zeigen Sie aber weitgehend einen selbstverständlichen, ja geradezu herzlichen Umgang zwischen TürkInnen und KurdInnen. Ist das nicht ein wenig idealisiert?

Nein, man muss da unterscheiden: Bei den einfachen Leuten auf dem Land gibt es grösstenteils diesen normalen und selbstverständlichen Umgang, da ist man sich auf beiden Seiten auch irgendwie bewusst, dass man viel mehr Gemeinsames als Trennendes hat. Der Fanatismus und Nationalismus, der ist vor allem beim städtischen Kleinbürgertum auf türkischer Seite am Wachsen, aber es gibt ihn zum Teil auch auf kurdischer Seite. Aber wie gesagt, die Leute auf dem Land draussen, die haben kaum Probleme damit, ich kann das aus eigener Erfahrung bestätigen. Ich bin früher, als ich noch in meinem ursprünglichen Beruf als Architektin tätig war, sehr viel im ganzen Land herumgereist und habe diese Toleranz erlebt. Wenn niemand da ist, der die Leute aufhetzt und manipuliert, dann gibt es auch keinen Hass.

«Reise zur Sonne» hat im Frühling dieses Jahres an den internationalen Filmfestivals von Istanbul und Ankara Preise gewonnen. Wie war es möglich, dass ein Film mit einem derartigen Inhalt in seinem Ursprungsland Festivalpreise gewinnt?

Wie ich schon sagte, denken in der Türkei nicht alle Leute gleich, und vor allem lassen sich ganz viele Menschen nicht von der nationalistischen Propaganda aufhetzen. So war es denn nicht nur möglich, dass der Film an diesen Festivals mehrmals lief, sondern dass er auch sehr gut aufgenommen wurde. Natürlich spielte dabei eine Rolle, dass er im Februar in Berlin seine Premiere erlebte und schon dort einen Preis gewann und dass er daher bereits einen ziemlich hohen Bekanntheitsgrad hatte. So war man logischerweise extrem gespannt darauf, ihn auch hier in der Türkei zu sehen. Es war für mich ein bewegendes Erlebnis, zu sehen, wie enthusiastisch vor allem die Jugend an diesen beiden Festivals in der Türkei auf den Film reagierte.

Kann «Reise zur Sonne» in der Türkei auch in den Kinos gezeigt werden?

Nein, das ist momentan absolut undenkbar. Erstens würde kein Kinobesitzer es wagen, so einen Film ins Programm zu nehmen, und zweitens ist das einheimische Filmschaffen nach wie vor noch sehr schwach. Es gibt zwar langsam eine neue, junge Generation von Filmschaffenden, zu der auch ich zähle - ein anderer Regisseur ist beispielsweise Zeki Demirkubuz, der ja in Locarno mit «Ücüncü Sayfa» (Die dritte Seite) im Wettbewerb vertreten ist -, aber immer noch sind wir sehr wenige. Der Tod des grossen Yilmaz Güney 1984 war für die internationale und die nationale Präsenz des türkischen Kinos ein äusserst harter Schlag, er wirkt bis heute nach.

Im zweiten Teil Ihres Films gibt es Sequenzen, wo man zerstörte kurdische Dörfer und Camps der türkischen Armee sieht. Wie haben Sie es geschafft, in Kurdistan die Spuren des Krieges filmen zu können?

Da möchte ich nicht so detailliert antworten, ich kann nur sagen, wir hatten uns unter einem Vorwand eine Drehgenehmigung beschafft. Und wir hatten dann unsere eigenen Wege, Sachen zu filmen, die eigentlich streng verboten wären, wie beispielsweise die Wachtürme des Militärcamps, die wir heimlich aus dem fahrenden Zug heraus filmten. An einer Stelle haben wir auch Material aus einem Dokumentarfilm verwendet, nämlich dort, wo die Panzer in der Stadt auffahren. Diese Sequenz stammt aus einem Dok-Film, den ein guter Freund von mir vor einigen Jahren über die Repression in Kurdistan realisiert hat.

Sie haben diese Stelle mit dem Blick des völlig perplexen Mehmet aus dem Fenster des Hotelzimmers gegengeschnitten. Mich hat das sofort an eine Stelle in Ingmar Bergmans «Schweigen» erinnert. Ist das eine bewusste Reminiszenz an Bergman?

Nein, in dem Moment, wo ich diese Montage machte, war ich mir dessen nicht bewusst, aber hinterher erinnerte ich mich sehr wohl daran. Ich glaube aber, eine Szene, wie die von Ihnen erwähnte in Bergmans Meisterwerk «Schweigen», wirkt einfach derart stark ins Unterbewusste hinein, dass sich das dann in so einem Moment darin manifestieren kann, dass man unbewusst darauf zurückgreift.