Die Welt, 16.8.1999

Flexible Urlauber schaffen Probleme

Deutsche Touristen ändern häufig ihr Ferienziel ­ Einbruch bei Türkei-Reisen

Von Heinz Horrmann Berlin ­ Jung sind sie, flexibel und haben Lust auf Reisen, egal wohin. Nie waren sie so wertvoll wie in den letzten beiden Jahren: Deutschlands Last-Minute-Urlauber, zu denen sich mittlerweile jeder Zweite rechnet. Die Reiseveranstalter hatten sich gerade mit der wachsenden Zahl dieser Schnäppchenjäger arrangiert, da kühlt die Pauschalreiseeuphorie erneut ab. Die Ergebnisse aller Befragungen, wohin die Deutschen in diesem Jahr reisen würden, wurden radikal über den Haufen geworden. So viele Ferienreisende wie nie zuvor änderten im Laufe des Reisejahres das vorgegebene Ziel und buchten um. Dabei nehmen sie, wenn nötig, Zusatzkosten in Kauf. Zwangsläufig beklagen Veranstalter Planungsprobleme ohne Ende. Der Kölner Reisekaufmann Dieter Steinijans mag auch bei genauer Analyse keinen entscheidenden Grund für dieses Verhalten finden: "Die Kunden gaben die unterschiedlichsten Erklärungen an." Die Türkei ist der Verlierer der Saison. Im letzten Jahr gaben 2,6 Millionen Sonnenhungrige an, in das südosteuropäische Ferienland reisen zu wollen, 2,3 Millionen waren es 1998. Doch nach der Festnahme von PKK-Chef Abdullah Öcalan änderten viele schlagartig ihre Meinung. Die Sorge vor Terroranschlägen war entscheidend. Es hagelte Stornierungen. In der Zwischenbilanz des Reisesommers stehen gerade mal eine Million Türkei-Reisende, am Jahresende werden es maximal 1,3 Millionen sein und das trotz All-inclusive-Angebote für rund 1100 Mark. Die Touristiker in dem gastfreundlichen Land sind verzweifelt: "Es ist eine Katastrophe für die Menschen in der Region", klagt der Verantwortliche des Bereiches Südliche Küsten. Von den 500 000 allein im Raum Antalya im Tourismus Beschäftigten sei heute die Hälfte ohne Arbeit. Um bei der Negativ-Wertung zu bleiben: Auch in der Karibik, wo die Dominikanische Republik als preiswerte Insel à la Mallorca aufgebaut wurde, bleiben die erwarteten Touristen aus. Nach Angaben der Karibischen Hotelvereinigung sanken im Verlauf der ersten sechs Monate die Gästezahlen deutlich ab, insgesamt liegen sie bereits um 20 Prozent unter dem Niveau des Vorjahres. Keiner weiß, warum "Amerikas Badewanne" plötzlich nicht mehr so attraktiv sein soll. Ein neuer Reklamefeldzug für türkisblaues Wasser und weiße Pulverstrände mit sich sanft im Winde wiegenden Palmen wird in diesen Tagen gestartet. Umgerechnet 24 Millionen Mark fließen in die Werbekampagne. Nach Großbritannien und in die Schweiz reisten in diesem Sommer ebenfalls weniger Deutsche. Dagegen trat Bella Italia aus dem Schatten in die strahlende Sonne. Auf Goethes Spuren zog jeder zehnte deutsche Urlauber in das Land, wo die Zitronen blühen. Das bringt den Italienern zusätzliche Einnahmen von 600 Millionen Mark. Ebenso viele Kurzentschlossene und Umbucher, die die Türkei erst einmal abgehakt haben, zog es nach Österreich und vor allem nach Spanien. Hier scheint die Wunschvorstellung von der Leichtigkeit des Seins auf dem Sonnengrill besonders gut umsetzbar. Das exakte Gegenteil, nämlich Bildungs- und Erlebnisreisen sind gleichermaßen auf Rekordkurs. Immer mehr Deutsche wollen die europäischen Metropolen kennen lernen und trotz des langen Fluges und des teuren Dollar sind schon jetzt zehn Prozent mehr Deutsche als im Vorjahr über den Atlantik gejettet, um in den USA attraktive Landschaftsbilder und die pulsierende Dynamik New Yorks zu erleben.