junge Welt, 16.8.1999

Was wird aus der PKK?

jW sprach mit Hans Branscheidt, Mitarbeiter von medico international und der kurdisch-deutschen Friedensinitiative »Appell von Hannover«

F: Der PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan hat angekündigt, daß die Guerilla-Einheiten der PKK das türkische Staatsgebiet bis zum 1. September verlassen werden. Steht der Frieden in Türkei- Kurdistan vor der Tür?

Nein, ganz sicher nicht. Vor der Tür steht nichts anderes als das, was man täglich aus den kurdischen Gebieten der Türkei hört: anhaltende Menschenrechtsverletzungen, brutalste Verfolgung der Bevölkerung und flächendeckende Verhaftungen von Oppositionellen. Es hat sich nichts geändert. Weder quantitativ noch qualitativ läßt sich ein Rückgang der Gewalthandlungen unter der türkischen Sondergesetzgebung feststellen.

Ein Friede müßte sich erst durch einen wirklichen Friedensprozeß entwickeln, wie in allen anderen Gebieten der Welt auch, in denen es ähnlich gelagerte Konflikte gab. In der Türkei gibt es bislang keinen Schritt in diese Richtung, außer, daß die PKK dringend und glaubhaft einen solchen Prozeß wünscht.

F: Also gibt es keine positive Reaktion aus Ankara.

Die türkische Seite hat eindeutig erklärt, daß sie ein solches Angebot nicht nur ablehnt, sondern, daß sie auf keinen Fall bereit ist, direkt oder indirekt mit Vertretern der PKK zu sprechen. Ankara will die PKK weiter als separatistische, staatsfeindliche, terroristische Organisation verfolgen. Deshalb werden die Angriffe unermüdlich weitergehen. Erst in dieser Woche ist die türkische Armee wieder mit Waffengewalt gegen PKK-Einheiten und kurdische Zivilisten vorgegangen. Das ist eine eindeutige Antwort. Die bedarf keiner weiteren Interpretation. Es bleibt die große Frage, wer den von der PKK gewünschten Friedensprozeß ermöglichen kann.

F: Wird innerhalb der kurdischen Bewegung über die neue Linie gestritten?

In aktuellen Erklärungen der kurdischen Seite wird der bewaffnete Kampf <Bild: Abbildung> plötzlich als eine der falschesten Erscheinungen der letzten hundert Jahre diagnostiziert. Es ist kaum vorstellbar, daß über Nacht derartige Feststellungen getroffen werden, ohne daß sich Widerspruch regt. Denn diese Erklärungen brechen mit allem, was bisher in der PKK gegolten hat. Doch beurteilen könnte man die Haltungen innerhalb der kurdischen Bewegung nur, wenn es so etwas wie eine Diskussion, eine demokratische Meinungsbildung unter all denen, die diesen Kampf getragen haben, gegeben hätte. Dabei hätte nicht zuletzt die Bevölkerung in Kurdistan eine gewichtige Stimme haben müssen. Allerdings plant die PKK für Anfang September einen Sonderparteitag, auf dem eine Art Metamorphose eingeleitet werden soll. Die gesamte Partei will sich in eine zivilgesellschaftliche Bewegung transformieren, um zukünftig in dieser Form in Kurdistan, in der Türkei und auf internationaler Ebene zu agieren. Das bedeutet, daß sich die gesamte PKK völlig umwandeln muß. So etwas kann man nicht einfach beschließen und dann in wenigen Tagen realisieren.

F: Wozu braucht es dann noch eine PKK? Es gibt doch die legale prokurdische Partei HADEP, die in Türkei-Kurdistan fest verankert ist.

Dazu gehören noch weitere Fragen: Zum Beispiel die, wozu es noch ein kurdisches Exilparlament braucht, wenn der türkische Staatsrahmen voll anerkannt wird. Und in der Tat bedarf es auch keiner PKK mehr, wenn sich die Guerilla auflöst. Denn die PKK war der politische Ausdruck des bewaffneten Kampfes. Es ist durchaus möglich, daß sich jetzt Kräfte, die der PKK nahe stehen, in die HADEP begeben oder eine ähnliche neue legale Partei gründen.

Hier muß man allerdings betonen, daß die HADEP und andere vergleichbare kurdische Oppositionsgruppen bis heute nicht frei und offen in der Türkei arbeiten können, sondern einer enormen Verfolgung durch den türkischen Staat ausgesetzt sind. Die Frage, wie es die PKK schaffen will, legal, zivilgesellschaftlich in der Türkei zu arbeiten, ist noch völlig offen.

F: Das Ende des bewaffneten Kampfes wurde von Abdullah Öcalan aus dem Gefängnis heraus verkündet. Inwieweit hat das die Entscheidung beeinflußt?

Ganz offensichtlich führt Abdullah Öcalan, der ja eine Geisel der Türkei ist, die Geschäfte der Partei aus dem Gefängnis heraus weiter. Öcalan handelt aber nicht allein. Die anderen Gremien der PKK haben seinen Vorschlägen zugestimmt. Ohne zu zögern, ganz selbstverständlich und sicher. Auch die namentlich bekannten führenden Kommandeure haben sich ausnahmslos dem Vorgehen des PKK-Vorsitzenden angeschlossen.

Sicherlich kann man sich die Frage stellen, ob es die Inhaftierung Öcalans war, die innerhalb der PKK zu dieser doch recht dynamischen Einsichtsfähigkeit in die neuen Beschlüsse geführt hat. Doch ich denke, hier wird letzten Endes von Abdullah Öcalan und von der PKK-Führung etwas umgesetzt, was das US- State-Departement und das deutsche Außenministerium sowie andere Regierungen in der EU der PKK immer wieder direkt und indirekt mitgeteilt haben. Da hieß es unaufhörlich: »Legen Sie die Waffen nieder, lösen Sie sich in zivile Strukturen auf, dann ist der Westen in der Lage, etwas für die Menschenrechte in Kurdistan zu tun.« Diesem Satz hat die PKK lange widerstanden, weil sie diesem Satz nicht geglaubt hat. Und weil sie eine gewisse Kontrolle über die Ausgestaltung eines möglichen Friedensprozesses behalten wollte. Deshalb hat die kämpfende PKK jahrelang einen Dialog und einen detaillierten Friedensplan eingefordert.

Jetzt erfüllt die PKK alle Forderungen des Westens. Und das, bevor ein Friedensprozeß eingeleitet wurde, bevor eine Methodik für die Umsetzung eines dauerhaften zivilgesellschaftlichen Modells entwickelt wurde. Es gibt keine konkreten Vorbereitungen, keine offiziellen Vermittler, keine Wahrheitskommission nach südafrikanischem Vorbild. Es soll sogar - wie mir die kurdische Seite mitteilte - nicht einmal mehr ein Internationales Menschenrechtstribunal zur Türkei geben, weil das Ankara ungünstig stimmen würde. Aus dieser Sicht heraus müßte dann auch die Arbeit der Menschenrechtsvereine in der Türkei (IHD) als kontraproduktiv angesehen werden.

Die kurdische Bewegung hat tatsächlich betont, sie tut das alles in der Hoffnung auf die Gültigkeit der Worte von Joseph Fischer und anderen führenden westlichen Politikern sowie in der Hoffnung auf die Einsichtsfähigkeit des türkischen Establishments. Die alle haben stets gesagt, wenn die PKK nachgibt, dann würde sich alles zum Guten wenden. Daß diese Rechnung aufgeht, ist kaum vorstellbar. Wer daran glaubt, muß die anhaltende - und vom Westen gebilligte - Repression gegen die kurdische Bevölkerung aus seiner Betrachtung ausklammern.

F: Was passiert, wenn die Türkei und der Westen nach dem Abzug der Guerilla nicht auf die Vorschläge der PKK eingehen?

Man kann eine Guerilla-Bewegung mit ihrer ganzen Logistik nicht einfach auf Null zurückdrehen, um sie dann bei Bedarf wieder auf einen neuen operativen Stand zu bringen. Wenn man in weit entfernten Positionen ausharrt, dann ist es unvorstellbar, daß man anschließend mit verstärkter Kraft in eine neue militärische Offensive geht. Zumal sich die Bedingungen in den Rückzugsstellungen im Nordirak verschlechtert haben.

Und ich bin davon überzeugt, daß die PKK ihr Wort einlösen wird. Sie wird den Kampf beenden. Danach hat die PKK die angekündigte Transformation in eine zivilgesellschaftliche, politische Bewegung bitter nötig. Da ist noch viel Arbeit zu leisten. Denn gerade der Aufbau ziviler Strukturen ist von der PKK sträflich vernachlässigt worden. Zu dem ganzen Konzept gehört auch die Schaffung einer internationalen Lobby für die Sache der Kurden. Auch das wurde in der Vergangenheit versäumt. So steht die PKK am Anfang ihres Weges zu einer zivilen politischen Partei. Sie fängt tatsächlich noch einmal von vorn an. Das wird schwierig, denn alle Strukturen innerhalb der Partei orientierten sich doch am militärischen Konzept.

Transformation heißt hier sicher auch, daß die PKK ihre internen Strukturen demokratisiert, daß sie ihre Organisationsprinzipien offen und demokratisch anwendet. Nicht zuletzt damit sie als anerkannte politische und soziale Kraft auf internationaler Ebene mit anderen korrespondieren kann.

Interview: Jörg Hilbert, Hamburg/AP-Foto: Burhan Ozbilici