Neue Presse (Hannover), 13.08.99

Angst vor Türkei: Kurdische Familie flüchtet in Wald

Eine kurdische Familie auf der Flucht: Seit mehr als drei Monaten sind Kadri und Sahibe Özcan aus Baddeckenstedt (Kreis Wolfenbüttel) mit ihren sieben Kindern untergetaucht. Aus Angst vor Abschiebung in die Türkei hausen sie in Wäldern, leben von Spenden ihrer Freunde.

Seit 1990 ist die Familie in Deutschland. Drei ihrer Kinder sind hier geboren. Die Eltern setzen sich für die Unabhängigkeit Kurdistans ein. Kadri Özcan (36) war an einem Hungerstreik vor dem Europäischen Gerichtshof in Den Haag beteiligt. Ehefrau Sahibe (35) demonstrierte vor dem türkischen Generalkonsulat in Hannover, nahm an einem Hungerstreik in der Nordstadt teil.

Bilder ihrer Aktionen waren im kurdischen Fernsehen zu sehen. Kein Problem, meinten die Verwaltungsrichter in Braunschweig. Bloße Mitgliedschaft in der verbotenen Arbeiterpartei PKK und Demonstrieren reichten nicht, um in der Türkei verfolgt zu werden.

Die Familie aber hat Angst vor Haft und Folter. Im Heimatort hätten sich bereits Spitzel nach dem Paar erkundigt, beteuerten Zeugen in eidesstattlichen Versicherungen. Die Verwaltungsrichter hielten die Aussagen für unglaubwürdig. "Würde es nur um mich und meine Frau gehen", lässt Kadri Özcan über einen Mittelsmann ausrichten, "wäre es nicht so wichtig. Doch was geschieht mit unseren Kindern, wenn wir in die Türkei zurück kehren?"

Auch das Leben auf der Flucht birgt Gefahren. Sohn Kerem (9) schluckte im Wald zwölf Tabletten seiner Mutter. Die Eltern eilten mit ihm nach Hannover, gaben in der Ambulanz falsche Namen an. Der Junge musste über Nacht zur Beobachtung bleiben.

Obwohl schon neun Jahre hier, hat die Familie keinen Abschiebeschutz, da sie von Sozialhilfe lebte. Ein Mühlenbetrieb, bei dem Kadri Özcan gejobbt hatte, würde ihn fest einstellen. Das hat der 36-Jährige schriftlich. Doch eine Arbeitserlaubnis bekommt er nicht, da die Stelle auch mit einem Deutschen besetzt werden könnte.

Mit einem letzten Antrag vor Gericht und einer Petition an den Landtag versucht die Familie, Abschiebeschutz zu erreichen. Problem: Die Özcans sind nicht mehr unter einer gemeldeten Adresse erreichbar.

kra, Baddeckenstedt