Handelsblatt, 14.08.1999

Türkisches Parlament stimmte Verfassungsänderung zu

Internationale Schlichtung in Wirtschaftsfragen zugelassen - Privatisierungen erleichtert - Auch größter Teil der Opposition stimmte zu

ap ANKARA. Mit den Stimmen eines großen Teils der Opposition hat das türkische Parlament am Freitag einer Regierungsvorlage zugestimmt, mit der die kränkelnde Wirtschaft des Landes saniert werden soll. Kernstück des Gesetzes ist eine Verfassungsänderung, durch die eine internationale Schlichtung in Wirtschaftsfragen in der Türkei künftig zulässig ist und die Privatisierung von Staatsbetrieben erleichtert wird. Für die Verfassungsänderung stimmten 435 Abgeordnete, 52 Parlamentarier stimmten dagegen und zwölf enthielten sich der Stimme. Weitere 51 Abgeordnete blieben der Abstimmung fern.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die USA haben die Regierung von Ministerpräsident Bülent Ecevit zu der Verfassungsänderung gedrängt. Ecevit hofft, mit dem Gesetz die Kreditwürdigkeit der Türkei zu erhöhen und das Land für ausländische Investoren interessanter zu machen. Hintergrund ist ein bereits prinzipiell zugesagter IWF-Kredit in Höhe von fünf Mrd. Dollar (9,15 Mrd. Mark/4,72 Mrd. Euro). Das Kreditabkommen soll noch im kommenden Herbst unterzeichnet werden.

Privatisierungen sollen Kassen füllen Weiter erhofft sich die Türkei mindestens vier Mrd. Dollar durch Privatisierungen im staatlichen Energiesektor. Größere Privatisierungsvorhaben sind in der Vergangenheit an in der Verfassung festgelegten Beschränkungen gescheitert. Die türkische Wirtschaft krankt an einer seit Jahren hohen Inflationsrate von gegenwärtig immer noch 50 % und einer Staatsverschuldung in Höhe von 20 Mrd. Dollar.

Nach türkischen Medienberichten hat sich die Regierung die Zustimmung der oppositionellen islamischen Tugendpartei durch ein Gesetz gesichert, das am Donnerstag vom Parlament gebilligt wurde. Es erschwert das Verbot politischer Parteien und könnte die Tugendpartei vor einem drohenden Verbot bewahren. Außerdem könnte es dem früheren Ministerpräsidenten und islamistischen Politiker Necmettin Erbakan eine vorzeitige Rückkehr auf die politische Bühne ermöglichen. Erbakans Wohlfahrtspartei, die Vorgängerorganisation der Tugendpartei, war im Januar 1998 wegen Gefährdung des laizistischen Staatssystems verboten worden. Erbakan wurde dabei die politische Betätigung für fünf Jahre verwehrt. Nach der am Donnerstag verabschiedeten neuen Regelung könnte der 72-jährige im Zuge von Nachwahlen als parteiloser Kandidat wieder ins Parlament einziehen. Die Regierung hat die Existenz eines politischen Handels mit den Fundamentalisten bestritten.