taz Berlin 11.8.1999

Vier Kurden schweigen vor Gericht - einer nicht

Zwei Prozesse gegen Kurden wegen Konsulatsbesetzung eröffnet

Im engen Gang des Neubaus des Landgerichts in Moabit hob gestern ein schwarzhaariger Mann vor der Tür des Saales B 129 seine Hände zum Siegeszeichen und rief: "Es lebe Kurdistan!"

Er wollte gestern dabei sein, als sich vier seiner Landsleute wegen der Erstürmung des israelischen Generalkonsulates Anfang des Jahres zu verantworten hatten. Damals sind nach der Festnahme des PKK-Führers Abdullah Öcalan aufgebrachte Kurden gewaltsam in das Konsulat eingedrungen. Vier Kurden wurden dabei von israelischen Sicherheitsbeamten erschossen. Erstmals standen jetzt Angeklagte vor Gericht, die durch Schüsse verletzt worden sind.

Hinter grün schimmerndem Panzerglas mussten Izzet A., Ahmed A. und Zülküf U., alle 27 Jahre alt, den Prozess verfolgen, während der vierte Angeklagte, Adil D. (22), bei dem siebenköpfigen Verteidiger-Team sitzen durfte. Er hatte Haftverschonung bekommen. Der Hauptvorwurf gegen alle vier: Schwerer Haus- und Landfriedensbruch.

Eine Verhandlung mit Haken und Ösen war zu erwarten - gleich zu Anfang stellte die Verteidigung einen Antrag auf Vertagung um eine Woche. Ihr sei keine Möglichkeit gegeben worden, die Besetzung des Gerichts zu überprüfen. Der Vorsitzende Richter Walter Neuhaus lehnte ab.

Die Anwältin Regina Götz kritisierte in einer ersten Erklärung, das Landgericht sei der falsche Ort für den Prozess. Ähnliche Anklagen etwa anlässlich von Randalen zum 1. Mai würden sonst nur vor Amtsgerichten verhandelt. Die "besondere Bedeutung", die nach Ansicht der Staatsanwaltschaft die Verlegung an das Landgericht rechtfertige, werde nur mit dem großen öffentlichen Interesse begründet. Es bleibe jedoch der Verdacht, dass die deutschen Behörden durch die Verhandlung vor dem Landgericht ihre Versäumnisse beim Schutz der israelischen Vertretung vertuschen wollten.

Rechtsanwalt Peter Brasche bemängelte, einige Akten bisher kaum gesehen zu haben. Wichtige Beweisfotos lägen ihm nur kopiert vor - kaum etwas könne man darauf erkennen. Da sich keiner der Angeklagten zur Sache äußern wollte, vertagte Richter Neuhaus die Verhandlung auf den kommenden Freitag. Dann soll in der Verhandlung ein Video der Polizei gezeigt werden, das während des Einsatzes vor dem Konsulat gedreht wurde.

Dasselbe Video soll auch beim zweiten Prozess eine Rolle spielen, der gestern gegen einen weiteren Kurden wegen der Geschehnisse am Generalkonsulat begann. In ihm soll geklärt werden, ob der 23-jährige Süleyman A. zwei Polizisten mit einer Holzlatte schwer verletzt hat. Das Verfahren ist von dem vorherigen getrennt, da die Beweislage klarer erscheint: Während für den Prozess gegen die vier Kurden 25 Verhandlungstage eingeplant sind, will man im zweiten mit vier zurechtkommen. Süleyman A. verlas eine Erklärung, in der er die Leiden des kurdischen Volkes durch staatliche Unterdrückung im Südosten der Türkei beklagte. Er warf der deutschen Justiz und Presse vor, davor die Augen zu verschließen. Während sich der Westen für die drangsalierten Kosovaren eingesetzt habe, bleibe er bei der vergleichbaren Not der Kurden untätig. Das sei Heuchelei, kritisierte der Angeklagte.

In Berlin sind bisher fünf Kurden wegen der Ereignisse am Generalkonsulat verurteilt worden: Zwei Jugendliche wurden mit je vier Wochen Dauerarrest belegt, ein Kurde erhielt vom Amtsgericht neun Monate auf Bewährung, ein anderer die gleiche Strafe vor dem Landgericht. Die härteste Strafe betrug bisher 24 Monate auf Bewährung. Und die juristische Aufarbeitung ist noch lange nicht abgeschlossen: Noch über 20 Prozesse muss die Berliner Justiz zu den Ereignissen am Generalkonsulat bewältigen.

Philipp Gessler