jw, 9.8.

Lebensbedrohliche Realsatire zu Hamburg

GAL bezeichnet Abschiebepraxis als »verläßliches humanes Behördenhandeln«

Ein von der GAL gefeiertes Papier der Hamburger rot-grünen Koalition zur Abschiebepraxis entpuppt sich als realpolitische Satire - mit lebensgefährlichen Folgen für die betroffenen Flüchtlinge. Dabei ist das sogenannte »7-Punkte-Papier« Ergebnis eines echten Hamburger Rathausstreits, bei dem die GAL der SPD vollmundig die Koalitionsfrage stellte. Doch die Ausländerbehörde der Hansestadt läßt sich durch grüne Papiertiger nicht erschrecken.

Und so versteht der Rechtsanwalt und GAL-Abgeordnete Mahmut Erdem die Welt nicht mehr: Eigentlich müßte sein Mandant Fahrettin T. in Freiheit sein: »Das Gericht hat den wegen illegalen Aufenthaltes angeklagten Herrn T. Ende Juli für verhandlungsunfähig erklärt und ihm Haftverschonung gewährt.« Der 27jährige Kurde leide unter einer schwerwiegenden Magenerkrankung und befinde sich seit mehr als drei Wochen im Hungerstreik, so Erdem weiter.

Die Ausländerbehörde kümmert das nicht. »Die hat Fahrettin T. sofort nach der erklärten Haftverschonung in Abschiebehaft genommen«, beklagte sich der Anwalt, der um das Leben seines Mandanten fürchtet: »Bei meinem letzten Besuch konnte er schon nicht mehr laufen und mußte getragen werden.« Doch die Ausländerbehörde sieht keinen Grund zur Besorgnis. Ihr Sprecher Norbert Smekal teilte junge Welt mit: »Der hat während des Hungerstreiks zugenommen.«

Für den Abgeordneten Erdem ist das Ganze ein eindeutiger Verstoß gegen das »7-Punkte-Papier« von Anfang Juli. Vorher hatte es der sozialdemokratische Innensenator Wrocklage nach Ansicht der Grün-Alternativen zu weit getrieben. Seine Behörde plädierte in einem internen Schreiben für eine härtere Gangart bei Abschiebungen. Selbstmordgefährdung, ärztliche Atteste und kurzfristige Petitionen an den Eingabeausschuß der Bürgerschaft sollten keine Hindernisse mehr auf dem Weg zum Flughafen sein. Kurzerhand erklärte die Innenbehörde ärztliche Atteste, die Flüchtlingen zum Beispiel schwere Traumatisierungen als Folge von Folter bescheinigen, zu »Gefälligkeitsgutachten«, die von einem behördeninternen Arzt ausgehebelt werden sollten. Schließlich glaubte Wrocklage zu wissen, daß 10 000 Migranten in Hamburg eigentlich sofort ins Flugzeug steigen müßten. Besonders perfide: Seine Behörde propagierte die Abschiebung einzelner Familienangehöriger, da dann die Bereitschaft zur Ausreise beim zurückgelassenen Teil der Familie erheblich steigen würde.

Nachdem all das an die Öffentlichkeit gedrungen war, bemühte man sich, die Angelegenheit zu einem internen Diskussionsanstoß herunterzuspielen. Derweil präsentierte sich die GAL mit dem »7- Punkte-Papier« als Retter in der Not. »Bei zielstaatenbezogenen tatsächlichen Abschiebehindernissen sollen Aufenthaltsbefugnisse erteilt werden«, und eine vorbereitete Abschiebung kann, anstatt mit Abschiebehaft, »durch eine frühzeitige behördliche Begleitung zum Flughafen am Tage der Abschiebung gesichert werden.« Abschiebepolitik - Modell soft/rot-grün. Über gesundheitlich begründete Abschiebehindernisse entscheidet »in Zweifelsfällen« jetzt der Amtsarzt, und Familien werden im Regelfall nur noch als Ganzes abgeschoben.

Die Abgeordnete der Bürgerschaftsgruppe Regenbogen Susanne Uhl kommentierte: »Mit diesem Ergebnis ist ein weiteres Stück Humanität im Umgang mit Flüchtlingen auf der Strecke geblieben.« Die GAL-Landesvorstandssprecherin Kordula Leites hingegen sieht »die Formulierung als eine wichtige Zwischenetappe auf dem Weg zu einem verläßlich humanen Behördenhandeln.« Das bekommt der Kurde Fahrettin T. gerade zu spüren.

Jörg Hilbert, Hamburg