Neue Zürcher Zeitung, 4. August 1999

Öcalan will den Rückzug der PKK aus der Türkei

Erneute Zwischenfälle im Südosten Anatoliens

Der inhaftierte Führer der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), Abdullah Öcalan, hat seine Organisation dazu aufgerufen, sich aus der Türkei zurückzuziehen und einen unilateralen Waffenstillstand einzuhalten. Unklar ist Öcalans gegenwärtiger Einfluss auf die PKK. paz. Istanbul, 3. August Der Führer der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), Öcalan, hat die Mitglieder seiner Organisation dazu aufgerufen, ab dem 1. September einen unilateralen Waffenstillstand einzuhalten und damit den bewaffneten Widerstand zu beenden. Gleichzeitig sollen sich die Kämpfer in Gebiete ausserhalb der türkischen Grenzen zurückziehen. Öcalan rief auch die staatlichen sozialen Institutionen dazu auf, den «Prozess von Frieden und Brüderlichkeit» zu unterstützen. Öcalans Erklärung wurde am Dienstag in Istanbul von seinen Anwälten verlesen, denn der Kurdenführer sitzt auf der Gefängnisinsel Imrali in Einzelhaft, seit er im Juni zum Tod verurteilt worden war. Vorwürfe an Iran Das Friedensangebot des Kurdenführers wirft allerdings zahlreiche Fragen auf. Vor allem sagt es nicht, in welche Länder sich die PKK-Mitglieder zurückziehen sollen. Dies sei eine Entscheidung der Organisation, sagten die Anwälte. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Türkei in der Vergangenheit konsequent die PKK auch im Ausland verfolgt hat. Im Herbst des vergangenen Jahres machte Ankara mit Kriegsdrohungen derart Druck auf Syrien, dass Öcalan sein damaliges Refugium verlassen musste. Später wurde er vom türkischen Geheimdienst in Kenya gefasst. Regelmässig greift die türkische Armee auch Lager der PKK im Nordirak an. In den vergangenen Wochen waren in Ankara auf höchster Ebene Anschuldigungen gegen Teheran erhoben worden, wonach neuerdings Iran als Hinterland für die Kurdenorganisation diene. Nach Angaben der Zeitung «Milliyet», die sich auf Geheimdienstquellen berief, gibt es in Iran zehn Ausbildungslager der PKK. Ministerpräsident Ecevit bezeichnete diese Entwicklung als besorgniserregend. Wohin auch immer sich die PKK zurückziehen will, Ankara wird kaum tatenlos zusehen. Die wichtigste Frage ist allerdings, wie gross der Einfluss Öcalans auf die PKK noch ist. Öcalan gründete die Organisation 1978 und war bis zu seiner Verhaftung im Februar deren unumstrittener Führer. Seine während des Prozesses wiederholten Aufrufe zum Frieden wurden vielerorts als verzweifelter Versuch eines Mannes gewertet, der um jeden Preis sein Leben retten will. Hierzuland gilt dies vielen als ein Zeichen der Schwäche. Auch sollen innerhalb der PKK-Führung Diskussionen darüber im Gange sein, ob Öcalans Friedenskurs befolgt werden soll. Überfall bei Diyarbakir Unterdessen hat der Konflikt im Südosten der Türkei zehn weitere Opfer gefordert. In der Region Diyarbakir sind am Montag abend sechs Dorfbewohner ums Leben gekommen, als ein Kleinbus von kurdischen Rebellen unter Maschinengewehrfeuer genommen wurde. Sieben weitere Personen wurden verletzt. Nach Angaben der halbamtlichen Nachrichtenagentur Anatolia hat die türkische Armee bei verschiedenen Aktionen in den Provinzen Van und Mus insgesamt vier Rebellen getötet.