Süddeutsche Zeitung 4.8.99

Öcalans letzter Kampf

Wenn man Ergreifung und Verurteilung des Kurdenführers Abdullah Öcalan als ein Drama begreift, dessen Autor der türkische Staat ist, so folgt nun der dritte Akt: Der PKK-Chef soll zeigen, ob er noch Macht hat über seine Kämpfer draußen in der kurdischen Bergwelt und in den Straßen europäischer Großstädte. Auf perfide Weise hat man Öcalan damit zum Herren über sein eigenes Schicksal gemacht. Denn von Erfolg oder Misslingen wird es abhängen, ob man ihn dem Henker überstellt oder nicht. Auf den ersten Blick stehen Öcalans Chancen gar nicht schlecht. Sein Angebot einer bedingungslosen Kapitulation - und nichts anderes ist sein jüngster Aufruf an die Freischärler, sich aus der Türkei zurückzuziehen - stößt in einigen Kreisen der "Arbeiterpartei Kurdistans" auf ein positives Echo. Duran Kalkan etwa, einer der noch in Freiheit lebenden PKK-Spitzenkader, tritt für eine politische Lösung der kurdischen Frage "innerhalb der Türkei, gemeinsam mit der Türkei" ein; und Ali Haydar Cilasun vom kurdischen Exilparlament meinte, dass man von der PKK keine "klassischen Aktionen" der Gewalt erwarten dürfe. "Wer die PKK deshalb für zu weich hält, will das kurdische Volk demoralisieren", begründete er die neue, weiche Linie. Was aber, wenn Öcalan nicht alle Kämpfer und Kader umstimmen kann? Es gibt noch genügend Freischärler, für die der Krieg nicht beendet ist. Auch in diesem Fall wäre der türkische Staat der Sieger. Denn diesen ohnmächtigen Öcalan könnte man getrost hängen. Bevor es soweit ist, könnte man noch die Europäer erpressen - nach dem Motto: Was kriegen wir, wenn wir ihn leben lassen? Für Ankara, so scheint es, hat das Spiel mit Öcalan in jedem Fall ein Happy end. ky.