jw, 2.8.

Menschenrechtsgruppen protestieren im Außenministerium gegen Abschiebepraxis

Von Deutschland in den türkischen Folterkeller

Die sogenannten Lageberichte des Außenministeriums zur Situation der Menschenrechte in den Heimatländern von in Deutschland lebenden Asylbewerbern werden auch weiterhin als »Verschlußsache« geführt. Dies erklärte der Staatssekretär im Außenministerium Hans-Friedrich von Ploetz gegenüber den Vertretern nationaler und internationaler Menschenrechtsorganisationen bei einem Treffen am vergangenen Donnerstag in Bonn. Das Offenlegen der »Lageberichte« ginge allein schon deshalb nicht, wurde den Menschenrechtlern beschieden, »weil das diplomatische Interessen Deutschlands berührt«.

Eingeladen worden waren zu diesem Gespräch die Organisationen amnesty international, Pro Asyl und das Flüchtlingshilfswerk UNHCR von Außenminister Joseph Fischer persönlich. Fischer, der aber nicht anwesend war, ließ durch seinen Staatssekretär von Ploetz betonen, daß dieser »Regierung die Einhaltung der Menschenrechte ein besonderes Anliegen ist«. Man wolle jetzt, so von Ploetz gegenüber den Gästen, ein »völlig neues Verfahren erstellen«. Er erklärte, daß die Berichte der Menschenrechtsgruppen zur Situation in den Heimatländern von hier lebenden Asylbewerbern zukünftig in die »Lageberichte« mit einbezogen werden sollen.

Erst im Juni hatten Pro Asyl und der Niedersächsische Flüchtlingsrat harte Kritik an der Praxis der Abschiebung von in Deutschland abgelehnten kurdischen Asylbewerbern in die Türkei geübt. In einem 35 Seiten starken Dossier konnte Pro Asyl allein für die letzten Monate 19 Fälle nachweisen, bei denen hier abgelehnte Asylbewerber nach ihrer Abschiebung in türkischen Folterkellern gelandet beziehungsweise unter Anklage gestellt worden sind. Zum Beispiel Menduh Bingöl. Der Kurde kam 1996 nach Deutschland und beantragte Asyl, weil ihn die türkischen Behörden verdächtigten, Kontakte zur PKK zu haben. Im Dezember 1998 wurde sein Asylantrag als unbegründet abgelehnt. Das Verwaltungsgericht in Minden ging davon aus, daß Bingöl nicht verfolgt werde und sich nur vor dem Militärdienst drücken wolle. Am 16. März 1999 wurde Menduh Bingöl auf dem Weg zur Arbeit verhaftet und sofort in die Türkei abgeschoben. Es folgten Verhaftung, Folter und eine Anklage vor dem türkischen Staatssicherheitsgericht wegen angeblicher Mitgliedschaft in der PKK. Bingöl sitzt bis heute im berüchtigten Gefängnis Ümraniye in Istanbul und wartet auf seinen Prozeß. In allen von Pro Asyl dokumentierten 19 Fällen haben die deutschen Verwaltungsgerichte die Aussagen der Betroffenen bagatellisiert und in der Regel den türkischen Sicherheitskräften ein rechtsstaatliches Vorgehen unterstellt.

Schuld an dieser skandalösen Abschiebepraxis seien aber nicht selten die »Lageberichte« des Auswärtigen Amtes, die eine »rechtsstaatliche Normalität« behaupten, »die es vor allem in der Türkei gar nicht gibt«, so Pro Asyl. Immer wieder könne man eine gewaltige Kluft zwischen den Fakten und dem, was in den Lageberichten behauptet wird, feststellen, beklagten sich die Menschenrechtsgruppen gegenüber Staatssekretär von Ploetz. Vor allem müsse das Fischer-Ministerium endlich die Vertreter des »Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge« aus den deutschen Botschaften in den sogenannten heiklen Staaten abziehen. Diese Beamten, monierte man bei Pro Asyl, seien dem Innenministerium unterstellt und neigen seit jeher dazu, die Situation der Menschenrechte in den »heiklen Ländern« zu bagatellisieren, um so in Deutschland Abschiebungen zu ermöglichen. Auch deren »Analysen« fließen regelmäßig in die »Lageberichte« des Auswärtigen Amtes mit ein. Immerhin sollen die Menschenrechtsgruppen zukünftig eine Art Kurzfassung der »Lageberichte« erhalten, und überhaupt, erklärte das Fischer- Ministerium, sei dieses erste Treffen von Menschenrechtsgruppen und Regierungsvertretern nur ein Anfang gewesen. Unter der Regierung Kohl hat es solche Treffen nicht gegeben. Ob das Ganze nur dazu dient, jene Gruppen mit einzubinden, die auch unter Rot- Grün die Abschiebepraxis kritisieren, darüber war man sich unter den beteiligten Gruppen allerdings nicht sicher. »Wir werden die Abschiebepraxis auch weiterhin scharf beobachten«, heißt es bei Pro Asyl.

Till Meyer