taz, 28.7.1999 Seite 4

Soysal berichtet von Folterungen

Der vom türkischen Geheimdienst entführte mutmaßliche PKK-Funktionär Soysal erhebt schwere Vorwürfe gegen Ankara. Anwälte stellten Wundmale fest <Bild> Von Eberhard Seidel

Berlin (taz) - Schwere Vorwürfe gegen die Türkei hat der unter bislang ungeklärten Umständen aus Moldawien in die Türkei entführte mutmaßliche PKK-Funktionär Cevat Soysal erhoben. Der in Deutschland anerkannte Asylbewerber teilte über seine Bremer Anwälte, Renate und Eberhard Schultze, mit, er sei am 13. Juli um 20 Uhr in der moldawischen Hauptstadt Chisinau von Unbekannten in ein Auto gezerrt und noch in derselben Nacht vom türkischen Geheimdienst MIT in die Türkei geflogen worden.

Am Montag hatten die beiden türkischen Anwälte Kenan Sidar und Avsar Gelegenheit, mit ihrem Mandanten zu sprechen. Es war ein überwachtes Verteidigergespräch in einem Gefängnis in Ankara. Soysal behauptet, er sei nach seiner Verschleppung elf Tage lang von Mitarbeitern des MIT und des Sicherheitsamtes zur Bekämpfung des Terrorismus verhört und gefoltert worden. Unter anderem mittels Elektroschocks, nacktem Liegen auf Eisblöcken und Abspritzen mit einem Hochdruck-Wasserstrahl. Die Anwälte stellten an den Beinen, Rücken und den Armen von Soysal Wundmale fest. Ihre Forderung, einen Arzt hinzuzuziehen, wurde von dem zuständigen Staatsanwalt beim Staatssicherheitsgericht in Ankara abgelehnt.

Nach wie vor wortkarg über die genauen Umstände der Verschleppung Soysals gibt sich Ankara. Vor einer Woche behauptete Ministerpräsident Bülent Ecevit, Soysal sei am 20. Juli, einen Tag vor Joschka Fischers Türkeibesuch, in einem europäischen Land festgenommen worden. Genauso präzise äußerte sich der MIT: Es war in Moldawien, ein paar Tage früher. Die vagen Auskünfte haben System. Nach türkischem Recht hätte Soysal spätestens vier Tage nach seiner Festnahme das Recht gehabt, einen Anwalt zu sprechen. In der Praxis wird dieses Recht häufig verweigert. Nur so läßt sich ungestört foltern.

Amnesty international hat gestern eine Eilaktion gestartet und ruft dazu auf, per Brief in Ankara zu intervenieren. Das Auswärtige Amt in Bonn sieht für sich dazu keine rechtlichen Möglichkeiten. Der Sprecher vom UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) in Bonn, Stefan Delekön, bezweifelt, ob die Bundesregierung nach der Genfer Flüchtlingskonvention überhaupt dazu berechtigt wäre. Nach der Konvention beinhaltet die Anerkennung eines Asylbewerbers keine Fürsorgepflicht für das Aufnahmeland.

In einem Brief an die Regierungschefs in Moldawien, der Türkei und Deutschland fordert die Ehefrau Soysals: "Gebt mir meinen Mann zurück." Und sie fragt, ob es keinen Schutz mehr für politisch Verfolgte in Europa gäbe. Den gibt es durchaus. Zumindest in Deutschland.

Cevat Soysal wurde laut seiner Asylakte am 31. Januar 1995 als Asylbewerber anerkannt. In einem ungewöhnlich schnellen Verfahren. Denn Soysal reiste erst kurz zuvor, am 9. Dezember 1994, per Flugzeug von Istanbul nach Deutschland ein. In seiner Asylakte ist von einer PKK-Mitgliedschaft keine Rede. Nach der Akte wurde der heute 37jährige erstmals 1979 in seiner Heimatstadt Batman verhaftet und gefoltert. Der 17jährige wurde von einem Militärgericht in Diyarbakir zu 21 Jahren Haft verurteilt. 1987 kam Soysal frei und arbeitete für die Kurdenpartei HEP (Arbeitspartei des Volkes) und später für die DEP (Demokratiepartei). 1994 entschloß er sich zur Flucht, nachdem ihn ein Bekannter bei einem Verhör unter Druck der PKK-Mitgliedschaft beschuldigt hatte.

In Deutschland war er Funktionär der Europa-Führung der ERNK, des politischen Arms der PKK. In welcher Funktion genau, darüber schweigt sich die ERNK-Sprecherin in Brüssel, Mizgin Sen, aus. Soysal sei in Sachen "Information über die kurdische Sache" regelmäßig in den Benelux-Ländern, Rumänien und Moldawien unterwegs gewesen.

Auf seiner letzten Mission griff der türkische Geheimdienst zu.